Johannes Anders
Musik - Journalist

S  O  P  H  I  E    L  Ü  S  S  I

TEXT UND FOTOS: JOHANNES ANDERS

Sophie LüssiSophie Lüssi (*1977) studierte Jazzvioline bei Daniel Schenker und Pierre Blanchard an der Zürcher Hochschule der Künste und Komposition bei Daniel Montes in Buenos Aires. Sie ist Bratschistin im Leonardo Ferreyra Tango String Quartet und Geigerin bei Swing de Paris (CDs: Sin Lágrimas, Tributo a Astor Piazzolla, Douce Ambiance, Au Lac). Sie leitet Jazzworkshops für StreicherInnen in Argentinien, Paraguay und der Schweiz. Auf der Suche nach neuen Klängen und Formationen für die Geige im Jazz gründete sie 2006 das Sophie Lüssi String Trio und Quartet, und das Sophie Lüssi Quartett. Mit diesen Projekten und eigenen Kompositionen hat sie folgende CDs aufgenommen: Bird Migration, Valse pour Stéphane (Sophie Lüssi Trio); Klul (CWR 1058, Sophie Lüssi String Quartet); To the Left and Right of the Ocean (CWR 1054, Sophie Lüssi String Trio); Valse pour Ornette (CWR 1060, Sophie Lüssi Quartett). Ihre Musik bewegt sich zwischen Jazz und moderner Klassik. Zur Zeit arbeitet sie an einem neuen Projekt für Streichorchester, Trompete, Posaune, Klarinette und Schlagzeug. www.sophielussi.com

Mercedes Sosa & Milton Nascimento:
Volver a los: ”Geraes”, rec. 1976. Mercedes Sosa & Milton Nascimento (voc). LP EMI Bras.
SL: Schön, das war Mercedes Sosa, tiefe Stimme, beeindruckend der Klang der Stimme, das Gefühl, das sie vermittelt – eine starke Persönlichkeit. JA: Sie hat doch auch politische Protestlieder gesungen und sich gegen Krieg und Diktatur engagiert … SL: … ja, sie ist sehr für das Volk eingestanden. Ich hatte sogar mal das Glück, sie zu begleiten.

Jazz Abstractions:
Abstraction - Gunter Schuller; “John Lewis presents Contemporary Music“, rec. 1960. Ornette Coleman (as), Jim Hall (g), Scott LaFaro, Alvin Brehm (b), Sticks Evans (dr) & The Contemporaray String Quartet. LP Atlantic.   
SL: Das war Ornette Coleman und eine Platte, die ich schon lange suche, gefällt mir sehr, vor allem, wie er mit seinem Sax spricht, sehr emotionaler Sound, auch wie er manchmal mit seinem Sax schreit und überraschend, wie er unerwartet zum Streichquartett einsteigt. Überhaupt interessant, dass das Streichquartett nicht so typisch eingesetzt wird wie gewohnt. Ich habe etwas genug von den Streichquartettklängen im Hintergrund.

Sophie LüssiTango Facetten:
1.) Artemis Quartet & Jacques Ammon: Fuga y misterio – Piazzolla; “The Piazzolla Project“, rec. 2008. Artemis String Quartet, Jacques Ammon (p). CD Virgin Classics.
2.) Luis Bacalov Quartet; Tangana ostinato –  Bacalov; “Tango and around”, rec. 2001. CD CamJazz.
3.) Silvana DeLuigi & Luis Di Matteo: Cafetin de Buenos Aires; “Tangos”, rec. 1995. Silvana de Luigi (voc), Luis Di Matteo (bandoneon). CD Wergo Spectrum.
4.) Richard Galliano: Vuelvo Al Sur – Piazzolla; “New York Tango”, rec. 1996. Richard Galliano (acc), Bireli Lagrene (g), Gorge Mraz (b), Al Foster (dr). CD Dreyfus.
5.) Astor Piazzolla, featuring Paquito D’Rivera:  Leonora’s Love Theme – Piazzolla; “The Rough Dancer And The Cyclical Night (Tango Apasionado)”, rec. 1987. Astor Piazzolla Quintet, Paquito D’Rivera (sax). LP american clavé.
6.) Astor Piazzola & Gary Burton: Nuevo Tango – Piazzola; “The New Tango”, rec. 1987 at the Montreux Festival. Astor Piazzola Quartet, Gary Burton (vib). LP WEA.
SL: Das Erste war Fuga y misterio von Piazzolla, für mich viel zu klassisch gespielt, sehr virtuos, technisch einwandfrei, klassische Musiker, aber mit dem Tango stimmt irgendwas nicht, soundmässig manchmal etwas aufgebläht, das Staccato ist zuwenig staccato, insgesamt zuwenig perkussiv, viel zu clean … Nr. 2 ist auch von Piazzolla oder im Stile von Piazzolla. Piazzolla ist so ein grosser Einfluss und einfach so im Stile von Piazzolla zu  komponieren, ist irgendwie nicht mein Ding. Nr. 3 war Cafetin de Buenos Aires, aber die Sängerin kenne ich nicht und sie erwärmt nicht so mein Herz. Aber den Bandeonisten fand ich gut. Nr. 4 fand ich besser gespielt als Nr. 2 und 3, auch von der Energie her und das Stück ist ein Piazzolla-Hit, von dem man sich aber hätte etwas entfernen, etwas Unerwartetes machen können. Aber der Sound war schön und super gespielt, dürfte Richard Galliano gewesen sein. Nr. 5 war Piazzolla, aber die Komposition hat für mich etwas kitschige Momente; wenn der Saxophonist nicht Mulligan ist, weiss ich nicht, wers ist. Nr. 6 war Piazzolla mit Gary Burton. In dieser Besetzung habe ich den neueren Piazzolla gern, das Rhythmische, Moderne, das mich manchmal etwas an Bartók erinnert.        

Sophie LüssiIgor Stravinsky:
Glorification … – Évocation …; “Le Sacre du Printemps”, rec. 2012. Berliner Philharmoniker, Simon Ratte (cond). CD EMI Classics.
SL: Das gefällt mir sehr, sehr abwechslungsreich, bekannten Strukturen werden aufgelöst, aber nicht ganz, hat Humor, ist Musik, die mich packt – ist Stravinsky,                                      

The Fred Hersch Trio:
Stuttering – Hersch; “Live at the Village Vanguard“, rec. 2002. Fred Hersch (p), Drew Gress (b), Nasheet Waits (dr). CD Palmetto.
SL: Das gefält mir sehr, erinnert mich etwas an Ahmad Jamal, etwas moderner, aber die Art wie das Trio gleichgewichtig spielt und die Linien des Pianisten ohne viel Harmonik. Habe das Trio übrigens kürzlich in New York gehört. 

Kimmig – Studer – Zimmerlin:
Hurrah Leks – Kerl sah ur; “Erzählend nah“, rec. 2011. Harald Kimmig (vl), Daniel Studer (b), Alfred Zimmerlin (vc). 2CD Unit.
SL: Du sagst, dass das frei improvisiert ist, hätte ich nicht gedacht … JA: … was zeigt, dass die drei sehr gut miteinander agieren. SL: Um was dazu sagen zu können, müsste ich das Stück nochmals hören oder ein anderes, längeres. Ich habe bei dieser Musik etwas Mühe, wenn das Time fehlt, wenn es 17 Minuten so weiterläuft. Wenn es zwischendurch irgendwelche traditionellen Momente oder Groove geben würde, das würde mir mehr entsprechen. JA: Ob solche Elemente irgendwo doch vorhanden sind, müsste man die ganze Doppel hören. SL: Aber die Sounds, die sie machen, finde ich sehr spannend. Was ich bei viele freien Geigern oder moderner Klassik oft vermisse ist, dass man gar keinen Ton mehr spielt, mit Klang, Vibrato, nur noch ponticello …, das macht der Geiger hier nicht, was mich erstaunt hat und ich gut finde.

Sophie LüssiZbigniew Seifert:
City of Spring – Zpigniew Seifert; “Man of the Light“, rec. 1976. Zbigniew Seifert, (vl), Joachim Kühn p), Cecil McBee (b), Billy Hart (dr). LP MPS.
SL: Das war Zbigniew, ein Wahnsinnsgeiger, der Coltrane auf der Geige. Er ist ja sehr früh gestorben und es wäre sehr spannend gewesen, was er nachher noch gemacht hätte. Er hat ja eine sehr pentatonische Sprache, die einem manchmal vielleicht etwas zuviel werden könnte, aber geigentechnisch und von den Phrasen, die er macht: super!

Sophie LüssiMorton Feldman:
Violin and Orchestra, 1979; “Violin and Orchestra”, rec. 2009. Carolin Widman (vl), Frankfurt Radio Symphony Orchestra, Emilio Pomàrico (cond). CD ECM New Series.
SL: Diese Instrumenten- und Klangkombinationen, Geige mit Flageolett plus Pauke, hohe Bläser plus Geige, Klavier und Harfe – wie das kombiniert wurde, mit kurzen Phrasen, sehr spannend.

Dieter Ammann:
unbalanced instability, 2012/13; “Konzert für Violine und Kammerorchester”, rec. Lucerne Festival Sommer 2013, Moderne 6. Carolin Widman (vl), Lucerne Festival Academy Orchestra, Pablo Heras-Casado (cond). SRF2  9/2013. 
JA: Die Geigerin ist dieselbe wie vorher, allerdings in einer aktuellen Komposition. SL: Spannend, spannend, sehr schöne Momente, dann gab es zitatartige Sequenzen von klassischen Violinkonzerten und dann wieder doch nicht, wie die Geige am Schluss Triller macht, und dann ein Glissando nach unten, wie ein Entgleisen aus der klassischen Tradition – das mag ich.

Mat Maneri:
Pure Mode – Matthew Shipp; “Trinity”, rec. 1999. Mat Maneri (vl, viola). CD ECM.
SL: Spielt super Geige, toll der Sound, auch das vibratolose Spiel, manchmal spielt er vibrato, aber sehr wenig, und die langen Phrasen haben eine gewisse Ähnlichkeit, ich hätte gern längere unterschiedliche Phasen, aber super gespielt, gefällt mir sehr.

Sophie LüssiPatricia Kopatchinskaja – Fazil Say:
Romanian Folk Dances sz. 56 – Bela Bartók; “Beethoven I Ravel I Bartók I Say”, rec. 2007. Patricia Kopatchinskaja (vl), Fazil Say (p). CD naïve.
SL: Das habe ich schon viel gehört und auch selbst gespielt, der Name fällt mir aber gerade nicht ein. Typisch die Interpretation, Quelle Südosteuropa, irgendwie folkloristisch. Die Geige hat etwas, das mich nicht so überzeugt hat, sehr unklassisches Spiel … JA: … die Geigerin gilt ja als unkonventionelle, vitale, sehr emotionelle Musikerin … SL: … aber ich glaub ihr das nicht ganz, ihr Spiel wirkt auf mich ein bisschen gesucht, ihre Akzente machen für mich überhaupt keinen Sinn… JA: … ein NZZ-Kritiker sprach mal von körperlich-theatralem Ansatz … SL: … aber geigentechnisch kann man nichts einwenden.

Didier Lockwood:
Anatole Blues – Didier Lockwood; “New York Rendez-Vous”, rec. 1995. Didier Lockwood (vl), David Liebman (sax), Dave Kikoski (p), Dave Holland (b), Peter Erskine (dr). CD JMS.
SL: Das ist Dave Liebman mit Didier Lockwood von der “New York Rendez-Vous”-CD und Lockwood ist hier in Hochform, alle Spieler sind hier in Hochform. Lockwood hat ja sehr verschiedene Phasen, diese hier gefällt mir mehr, als die jetzige. Er ist mir manchmal zu wenig geigerisch, mit zuwenig Bogen, wenig Sound … 

Arabisches Ensemble mit Geiger:
Leich ya wilfi; “Musikfest Ala – R – Rimal“, rec. Libanon. LP Duniaphon.
SL: Was ich hier toll finde, ist der volle, dicke Ton, das gefällt mir. Die Musik mit den Vierteltönen ist jedoch eine Welt für sich, in die man sich einfühlen muss.

Miles Davis Quintet:
No Blues – Miles Davis; “Live in Europe 1967”, rec. live Tivoli Kopenhagen. Miles Davis (tp), Wayne Shorter (ts), Herbie Hancock (p), Ron Carter (b), Tony Williams (dr). 3CD/1DVD Columbia Legacy.
SL: Das Sax hat mich hier am meisten beeindruckt, hat sehr viel gespielt und plötzlich hat es Struktur bekommen. Manchmal habe ich nicht unbedingt gern, wenn zuviel gespielt wird, aber hier hat mich das überhaupt nicht gestört.

Violin Summit:
1.) Stuff Smith: Only Time…; 2.) Stéphane Grappelli: How high the moon; 3.) Jean Luc Ponty: Carol’s Garden – Danny Zeitlin.“SWF Jazz Session“, rec. 1966 Theater Fauteuil Basel. Kenny Drew (p), Nils-Henning Ørsted-Pedersen (b), Alex Riel (dr). Band ab SR / Schweizer Radio.
SL: Lacht, 1.) war natürlich unverkennbar Stuff Smith; den mag ich sehr, hat viel Swing, viel “Dreck“, viel Charakter, mit schnellem Vibrato, vielen Doppelgriffen,  übertriebenen Glissandi – eigentlich eine heikle Sache –, aber irgendwie stimmts bei ihm, ists nie zuviel. Der Zweite ist natürlich Grappelli, für mich einfach Heimat, bin mit ihm aufgewachsen, habe so viele Erinnerungen, wenn ich ihn höre, ist sehr geigerisch, auch vom Sound her, elegant und vielseitig, ist eigentlich der Jazzgeiger par excellence, auch wenn seine Sprache über die Jahre relativ ähnlich geblieben ist. Und der Dritte war Ponty, hat einen härteren, etwas  kratzigeren Sound, pfeilgerade, mit Supertiming, mag ihn besonders aus der Zeit im Trio mit Daniel Humair und Eddy Louiss. JA: Später ging er ja in Richtung Pop … SL: … das ist dann nicht mehr mein Ding …

Sophie Lüssi, herzlichen Dank für Deinen Besuch.

© JAZZ 'N' MORE Nr. 6/2013, Nov./Dez. 2013
Fotos © Johannes Anders

zurück