Johannes Anders
Musik - Journalist

CHRIS WIESENDANGER

Von Johannes Anders

Chris WiesendangerBekannt wunde der 1965 geborene Pianist von allem als häufiger Gast in den legendären Jazzclubs "Bazillus" und "B-Flat". Inzwischen ist der vitale Allrounder zwischen Modern Mainstream und Freeplay, zwischen Brazil, Funk und Fusion, mit Abstechern ins Rock- und Popbusiness, aus der Schweizer Szene nicht mehr wegzudenken. Anliegen des an der Zürcher ACM Lehrenden ist aber das akustische Triospiel. Anlässlich eines bevorstehenden,  längeren New York-Aufenthalts plant er neben Studien in klassischer Komposition Aufnahmen und Konzerte mit einem amerikanischen Quartett, zu dem noch der Tabla-Spieler Prakash Maharaj hinzugezogen wird. Die dreijährigen Vorarbeiten für dieses Projekt stehen kurz vor dem Abschluss. Danach sollen (endlich) Aufnahmen mit dem eigenen Trio realisiert werden, die er ebenfalls auf CD zu veröffentlichen hofft. 


HERBIE NICHOLS:

IT DIDN'T HAPPEN ("The Prophetic Herbie Nichols", rec. 1955. Herbie Nichols, p, Al McKibbon, b, Art Blakey, dr. Blue Note 25cm-LP).

CW: Hat einen monkischen Touch, könnte Elmo Hope sein, Art Blakey an den Drums ... Oder ist's Herbie Nichols...? Hat ja eine ganz eigene Schiene begründet, wie auch der Monk oder Andrew Hill.


LENNIE TRISTANO TRIO:

EAST THIRTY-SECOND ("Lennie Tristano", rec. 1955. Lennie Tristano, p, Peter Ind, b, Jeff Morton, dr. Atlantic-LP).

CW: (Nach den ersten Tönen:) Lennie Tristano! Mich beeindruckt seine unglaubliche Bewusstheit, ein Architekt der Musik, weiss schon von vornherein, wo er hin will, baut ein Gerüst. Er ist sozusagen der Bach des Jazz.


MC Coy Tyner:

l  MEAN YOU ("Supertrios", rec. 1977. Alfred McCoy Tyner, p, Ron Carter, b, Tony Williams, dr. Milestone-2LP-Kassette).

CW: Monks «I mean you»! McCoy Tyner in späteren Jahren, wahrscheinlich mit Tony Williams. Nicht meine Lieblingszeit von ihm, die liegt früher bei seinen Trios der sechziger Jahre und natürlich mit Coltrane.  Hat danach an Sensibilität verloren, ist aber immer noch der Pianist, der am meisten Power hat, der soviel konzentrierte Energie und Dringlichkeit loslassen kann. Da ist aber nicht nur Power allein, sondern auch Spiritualität.


SCHMIDLIN / SCHERRER / PETER:

CHEEK TO CHEEK ("Cojazz", rec. 1988. Peter Schmidlin, dr, Andy Scherrer, p, Erich Peter, b. TCB-CD).

CW: «Cheek to Cheek", teilweise Ahmad-Jamal-beeinflusst - sicher etwas Neueres, aber nicht unbedingt eine amerikanische Rhythm Section. Der Schlagzeuger gefällt mir sehr, ist's eine Schweizer Gruppe? (Nach Bekanntgabe:) Andy Scherrer spielt ein tolles Klavier; ich habe aber etwas Mühe mit der linken Hand, ein Thema, das mich augenblicklich sehr beschäftigt - aber ein schönes Trio.


KRYSTIAN ZIMERMAN / CLAUDE DEBUSSY:

CE QU' A VU LE VENT D'OUEST ("Claude Debussy - Préludes", rec. 1991. Krystian Zimerman, p. DG-2CD-Box).

CW: Sehr schön gespielt, kontrollierte Technik, sehr dynamisch, wahnsinnig...! Vermutlich aus den Préludes von Debussy.


SVIATOSLAV RICHTER / SERGEJ PROKOFIEW:

SONATE FÜR KLAVIER NR. 7, OP. 83, 3. SATZ ("Piano ARTissimo - Piano Music of Our Century", rec. 1965. Sviatoslav Richter, p. WERGO-4CD-Box).

CW: Der Komponist könnte ein Russe sein, der Pianist ist rhythmisch sehr, sehr gut, ist vermutlich Sviatoslav Richter, einer der grossen Pianisten überhaupt.


MARILYN CRISPELL / GARY PEACOCK / PAUL MOTIAN:

CARTOON ("Nothing ever was, anyway. Music of Annette Peacock", rec. 1996. Marilyn Crispell, p, Gary Peacock, b, Paul Motian, dr. ECM-CD).

CW: Der Pianist hat eine ausgezeichnete Technik, sehr musikalisch, sehr schönes Zusammenspiel, ein Trio, das entweder viel zusammenspielt oder dessen « Chemie » total stimmt. Toller Schlagzeuger. Ist das der Motian?


MICHEL PETRUCCIANI:

13TH ("Michel plays Petrucciani", rec. 1987. Michel Petrucciani, p, Gary Peacock, b, Roy Haynes, dr. Blue Note-CD).

CW: Allerhand Jarrett-Einflüsse. Die Art und Weise des offenen Konzepts gefällt mir sehr. Am Bass sicher Gary Peacock, ein unglaublicher Bassist; kann sich in seinen Soli vom harmonischen Rahmen lösen, eine Art Abstraktion des Stückes spielen, spannt Bögen, lässt ein geschlossenes Gebilde entstehen. Hat nicht die Intonation von Dave Holland, aber eine eigene Sprache und viel Energie.   


NUYORICAN SOUL:

SHOSHANA ("Talking' Loud - Fabrica De Nueva York", rec. 1996. Tito Puente, vib, Hilton Ruiz, p, Dave Valentin, fl, Gene Perez, b, Marc Quinones, timb, Richie Flores, congas, bongos, Luisito Quintero, Bobby Allende, perc, David Sanchez, sax, Steve Turre, tb, Charlie Sepulveda, tp. Mercury-2CD). 

CW: Grooved wahnsinnig, tolle Rhythm Section, gefällt mir sehr. Der Pianist ist sicher ein Latino, könnte Hilton Ruiz sein. Roy Ayers macht ja solche Sachen ... JA: … ist auch in diversen Funktionen auf dieser CD vertreten


HANS FEIGENWINTER:

REMEMBER DATE ("Lift", rec. 1994. Hans Feigenwinter, p, Andrew Goegan, e-b, Andreas Lüscher, dr. GAP-CD).

CW: (Lacht…) Kommt mir sehr bekannt vor…, ist's der Hans? Ich kenne ihn natürlich gut, deshalb musste ich gleich am Anfang lachen. Der Hans ist ein ausgezeichneter Pianist, ich steh' sehr auf ihn, er phrasiert wahnsinnig toll, schätze ihn sehr, ist einer meiner Lieblingspianisten.


RITA MARCOTULLI / PALLE DANIELSSON / BOB MOSES:

ECCESSO ("Live vom Jazz Festival Willisau 1996". Rita Marcotulli, p, Palle Danielsson, b, Bob Moses, dr. Radio DRS-Live-Aufnahme).

CW: Wenn mein italienischer Eindruck stimmt, könnte das Rita Marcotulli sein. Hat einen sehr schönen Piano-Sound, ist jemand, der das auch bewusst pflegt, an dem schafft; sie bringt viel Farben ins Spiel, hat eine persönliche Sprache, ein breites Spektrum von Freiem bis zu Standards, gefällt mir sehr. Am Bass Palle Daniellson ?


IRÈNE SCHWEIZER / KATHARINA WEBER:

DUO ("TonArt 1996", Bern. Auszug. SR DRS-Live-Aufnahme.

CW: Bei diesem Ausschnitt sind beide Pianisten schon sehr drin, kein Einstieg, kein Suchen mehr. Starke Sache, könnte die Irène sein. Sie ist für mich eine unglaublich tolle Pianistin - sehr vielseitig.


VÉRONIQUE PILLER TRIO:

GLOUPS ("Gloups", rec. 1995. Véronique Piller, p, Anatina Escher, b, Matthias von Imhoff, dr. Hélix-CD).

CW: Tolles Trio, spielen sehr gut zusammen, eine Gruppe, die viel probt, übt, schafft; tönt europäisch. Habe das Trio wahrscheinlich schon gehört, eine Frau am Piano? Ist aber nicht die Véronique Piller? Doch? Man merkt natürlich die klassische Ausbildung, den kultivierten Anschlag - hat etwas von Corea …


GONZALO RUBALCABA:

WELL YOU NEEDN'T ("Discovery", rec. 1990. Gonzalo Rubalcaba, p, Charlie Haden, b, Paul Motian, dr. Blue Note-CD).

CW: Monks "Well you needn't". Hat einen sehr guten Anschlag, Superphrasierung, wahnsinnig, sehr gutes Timing, phantastisch, technisch hervorragend. Das ist Gonzalo Rubalcaba, am Schlagzeug Paul Motian. Ich wage die Behauptung, im Jazzbereich gibt es keinen technisch und virtuos besseren Pianisten als ihn. Kubanisches Temperament! Kann technisch mit einem Jarrett oder Corea mithalten.

 

Chris, herzlichen Dank fürs Mitmachen.



 

© JAZZ Nr.8/1997
© Foto: Peewee Windmüller



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