Johannes Anders
Musik - Journalist

DANIEL SCHNYDER

Von Johannes Anders

Daniel Schnyder1961 in Zürich geboren. Studierte am Konservatorium Winterthur, Berklee College of Music in Boston und am Banff Center for the Arts in Kanada, Jazz, Saxophon, Flöte und Komposition. Gibt als Solist wie als Komponist in beiden Bereichen, Jazz und Klassik, weltweit Konzerte. Wohnt seit 1991/92 in N.Y.C., wo er mit prominenten Jazzern, klassischen Solisten und Kammermusikensembles zusammenarbeitet. Seine Orchesterwerke und Kompositionsaufträge (Viola-Konzert, Klavierkonzert, 1.,3. und 4. Sinfonie, Kammermusiken usw.) wurden von bedeutenden Orchestern (Milwaukee Symphony, Atlanta Symphony, Tonhalle Orchester Zürich, NDR-Symphonieorchester) aufgeführt. Kompositionsaufträge aber auch für Jazzprojekte (Vienna Art Orchestra, Lee Konitz, Dave Taylor, NDR-Big Band). Bisher über 10 CDs mit eigenen Kompositionen. Zur Zeit „composer in residence“ beim Milwaukee Symphony Orchestra/USA. 


HARRY LOOKOWSKY:

DANCING IN THE GRAVE ("Stringsville, rec.50er Jahre. Harry Lookowsky, strings, Bob Brookmeyer, tb, Hank Jones, p, Paul Chambers, b, Elvin Jones, dr.. Atlantic-LP).

DS: Das ist aber gut, sehr witzig, konzeptionell interessant, wirkt einesteils ad-hoc-artig, andererseits sehr ausgedacht, auch von der Form her. Ungewohnte Klangfarben. Ist aber nicht Stuff Smith oder Grapelli ? JA: Nein, der Geiger heisst Harry Lookowski, war seinerzeit Konzertmeister beim NBC Symphony Orchestra und hat alle 5 Stimmen des Streichersatzes im Playback selbst eingespielt... DS: … eine Art von Lockerheit, die klassische Musiker normalerweise nicht erreichen.


LEE KONITZ:

SUBCONSCIOUS LEE ("lee konitz at storyville", rec.1954. Lee Konitz, as, Ronnie Ball, p, Percy Heath, b, Al Levitt, dr. Storyville-25cm-LP).

DS: Sehr interessant, klingt nach Tristano-Musik, muss der Lee sein, spielt verdammt gut hier, klingt aber heute anders, z.B. auf meiner Lee Konitz-CD "Strings for Holiday.


CHARLES LLOYD:

„A FLOWER IS A LOVESOME THING ("Voice in the Night", rec. 1998. Charles Lloyd, ts, John Abercrombie, g, Dave Holland, b, Billy Higgins, dr. ECM_CD).

DS:  ECM-Sound, geht etwas in die Lovano-Brecker-Richtung; vom harmonischen Denken her klar Coltrane-beeinflusst, aber er bricht das total und geht auf einen früheren Sound zurück, Richtung Lester-Young-Tradition, cooler Klang, eigenständig, fantastischer Spieler, der Typ muss relativ jung sein, musikalische Persönlichkeit ! (Nach Bekanntgabe:) Whow, das hätte ich jetzt nicht gedacht!


Daniel SchnyderJAZZ ABSTRACTIONS:

VARIATIONS ON A THEME OF THELONIOUS MONK - CRISS CROSS ("Jazz Abstractions – John Lewis presents Contemporary Music - Compositions by Gunther Schuller & Jim Hall", rec. 1960. Ornette Coleman, as, Eric Dolphy, bcl, as, fl, Robert DiDomenica, fl, Jim Hall, g, Eddie Costa, vib, Bill Evans, p, Scott LaFaro, George Duvivier, b, Sticks Evans, dr, The Contemporary String Quartet. Atlantic LP

DS: (Lacht...,) das ist von Monk. Der Typ spielt mir von der Intonation her jetzt zu falsch (meint Ornette), Bassklarinette ok, das ist Dolphy. Unglaubliche Komposition, weil sie mit Motiven arbeitet, die dann weiterentwickelt werden. (Nach Bekanntgabe:) Monks „Criss cross“, das ist Wahnsinn, von der Komposition her vielleicht die Musik, die der klassischen am verwandtesten ist.


ARCHIE SHEPP & JASPER VAN'T HOF:

NAIMA ("the fifth of may", rec. 1987, Duos. Archie Shepp, ts, Jasper van't Hof, p. LR-CD).

DS: Lacht..., ist das Archie Shepp ? Man hört die musikalischen Ideen, leider ist die Umsetzung nicht mehr gut, hat Probleme mit den Zähnen, was sich intonationsmässig bemerkbar macht. (Nach Bekanntgabe:) Jasper van’t Hof ist ein fantastischer Musiker, keine Frage, aber das hier ist vielleicht nicht gerade sein Gebiet...


HENRIK GÓRECKI: 

SYMPHONY NO.3, OP.36  ("Górecki", Auszug aus 1. Satz, rec. 1993. Polish National Radio Symphony Orchestra, Antoni Wit, Leitg. Naxos-CD).

DS:  Ich kenne die Sinfonie; der 1. Satz ist schwachsinnig, zu amorph, zu gefällig. Ich weiss, war ein Riesenverkaufserfolg, leider, ist wirklich nicht die Lösung. Den 2. Satz finde ich besser, gut, hat relativ viel Struktur...


 

JACQUES DEMIERRE:

JODEL („le tout sur le tout“, rec. 1995. Jacques Demierre, Sylvie Courvoisier, p, keyb, Sütö Gergely, cl, tarogato, Adrien Kessler, b, Jim Meneses, dr. Musiques Suisses/MGB-CD).

DS: (Amüsiert sich:) Klingt Richtung Sun Ra, eine Mischung zwischen frei improvisierter und komponierter Musik, Musik aus Bausteinen, durchstrukturiert, höre ich mir aber lieber live an; eine holländische Gruppe?


WDR BIG BAND:

BULERIA („Jazzpaña - WDR Big Band, directed by Vince Mendoza, rec. 1992. Michael Brecker,ts, Al Di Meola, g, Peter Erskine, dr. ACT-CD).

DS:  Sehr schön, gut gespielt, könnte eine Al Di Meola-Geschichte sein, einerseits spanische Gitarrenwurzeln, andererseits Rockjazz-Fusion. Saxer klingt nach Brecker.


Daniel SchnyderROBERT DICK / SOLDIER STRING QUATET:

GAZZELONI („Jazz Standards on Mars“, rec. 1995/96. Robert Dick, fl, Regina Carter, viol, Dave Soldier, viol, metal viol, banjo, Mark Dresser, b, Kermit Driscoll, Richard Bona, e-b, Steve Argüelles, Ben Perowski, dr, Valerie Naranjo, perc, vib. ENJA-CD).

DS: Ich weiss, wer das ist, Moment, kommt gleich..., Robert Dick auf der Flöte, beeindruckend, was er auf seinem Instrument macht; Mark Dresser am Bass. Gutes Konzept. Es gibt ja garnicht soviel Flöten-Aufnahmen. Der Beste war früher Hubert Laws..., James Spaulding, Eric Dolphy... Schwierige Sache für die Streicher.


ORNETTE COLEMAN + JOACHIM KÜHN:

CYBER CYBER ("ornette + joachim kühn / colors - live from Leipzig", rec. 1996,  Duos. Ornette Coleman, as, Joachim Kühn, p. Harmolodic-CD).   

D.S.: (Lacht, lacht, lacht...) Klingt vom Sound und vom Zu-hoch-Spielen wie Jackie McLean, von den Linien nicht. Beide Spieler sind sehr busy, weiss aber nicht, wer das ist. (Nach Bekanntgabe:) Hm, der Ornette, totaly free wheeling; den habe ich eigentlich schon viel gehört, auch live, klang aber hier irgendwie anders. Joachim Kühn..., dachte zuerst an Cecil Taylor, dafür ist‘s aber zu wenig wild; hat etwas Klassisches, Kontrolliertes, ein Spannungsfeld, das mich etwas irritiert. Aber zwei Wahnsinnsmusiker!


MARIA PIA DE VITO + RITA MARCOTULLI:

'NFRISCA ALL'ANEMA 'E CHILLI QUATTO ("Nauplia – Musica di Napoli tra melodia e improvvisazione", rec. 1995. Maria Pia De Vito, canto, Rita Marcotulli, p, Enzo Pietropaoli, b, Arnaldo Vacca, Naco, perc, Alfio Antico, tammorre, Insieme Strumentale di Roma. EGEA-CD).

DS:  Wahnsinnig schöne Musik, interessant die Melodiesprache, die Rhythmen, auf Basis von Volksmusikbezügen aus Randgebieten Europas, attraktiv die Rhythmusinstrumente aus dem Mittelmeerraum. Klavier wird gut gespielt, sehr gut sogar! Sängerin ist auch hervorragend.


EUROPEAN CHAOS STRING QUINTET:

QUATTRO ("European Chaos String Quintet", rec. 1992. Susanna Andres, Karel Boeschoten, viol, David Gattiker, cello, Karri Koivukoski, viola, Beat Schneider, cello. For4EARSrecord-CD).

DS: Sehr viel Verve, sehr gut gespielt! Schwierig zu sagen, wieviel aufgeschrieben ist oder ob alles frei improvisiert ist. Eine Gruppe, die viel zusammenspielt. Schwergewicht ist Improvisation und instrumentale Umsetzung. Beeindruckt mich sehr, sehr gut produziert, sehr gut aufgenommen.


CHRISTOPH STIEFEL:

KONZERT FÜR KLAVIER, STREICHORCHESTER UND PERCUSSION (Auszug 5. Satz Finale, Uraufführung, rec. 1998. Zürcher Kammerorchester, Leitg. Howard Griffiths, Peter Waters, Klavier. Privat-CD).

DS:  Der Pianist hat von allen, die ich bis jetzt hörte, am meisten Technik, Wahnsinnsspieler. (Lacht beim pompösen Schluss:) Witziges Ding. Piano und Orchester nicht gut zusammen, die Musiker haben sich nicht so gut gehört - vermutlich eine Live-Aufnahme an ungünstigem Ort … JA: … live im "Kaufleuten" … DS: Das ist ziemlich sicher das Klavierkonzert von Christoph Stiefel mit Peter Waters am Klavier und dem ZKO. Phantastisch, dass der Stiefel das macht, hat sich wahnsinnig damit auseinandersetzen müssen, ist ein weiter Weg und sein erstes derartiges Ding. Dass das ZKO da mitmacht und sich mit den rhythmischen Anforderungen auseinandersetzt, die ja bei Stiefel eine grosse Rolle spielen, finde ich super.


MOTUS QUARTETT:

SOME SKUNK FUNK ("Crimson Flames", rec. 1992. Tscho Theissing, Michael Radanovics, viol, Franz Bayer, viola, Michael Dallinger, cello. Creative Works-CD).

DS: (Reagiert sofort...) Das ist „Some Skunk Funk“ von den Breckers. Absurde Idee, das für Streichquartett zu machen, käme nie auf die Idee, das für Streicher zu setzen, aber wahnsinnig gut gespielt und aufgenommen, fantastisch ! 80% der klassischen Musiker schaffen das nicht. Wenn das Zeugs aber so gut funktioniert wie hier, haben wir einen riesen Schritt gemacht, haben wir das erreicht, was wir vor achtzig Jahren verloren haben. Das gibt Hoffnung, dass am Ende des 20. Jahrhunderts die Musik wieder zusammenfindet. Wenn so was umgesetzt werden kann, könnte man in Zukunft ganz andere Musik schreiben, wären wir mit einem Schlag 10000 Meilen weiter ! Die Musikentwicklung muss in diese Richtung gehen. Wenn Konzertmusik aber nicht mehr das musikalische Geschehen eines Jahrhunderts reflektieren kann, dann stirbt sie ab.


ALFRED SCHNITTKE:

CONCERTO GROSSO, NO.1, 1977 (" III International Music Festival Leningrad 88", Vol. 5", Auszug aus 2. Satz, rec. 1988. Soloists Ensemble, Yuri Bashmet, cond, Gidon Kremer, Tatiana Gridenko, viol. col legno-CD).

D.S.: Ich kenn das, ist die gleiche Technik, die Schnittke verwendet; ist das nicht ein Concerto grosso von ihm? Whow! Er hat mich sehr beeinflusst, ist fantastisch, wahnsinnig, sehr schwierig, virtuos, wie mit Lego-Bausteinen.


WOLFGANG PUSCHNIG + MARK FELDMAN:

HOMMAGES ("Spaces", rec. 1998, Duos. Mark Feldman, viol, Wolfgang Puschnig, as, fl, hojak. Skylark/Amadeo/EmArcy-CD).

DS: Das ist gut ! Klar, der Geiger ist Mark Feldman, hab schon viel mit ihm gemacht. Gutes Zusammenspiel, gut ausgedacht, sehr gute Interaktion zwischen frei Improvisiertem, Motivischem und ausgeschriebenen, thematischen Teilen.


URI CAINE ENSEMBLE:

OUVERTÜRE / LOHENGRIN / RICHARD WAGNER ("Wagner e Venezia", 1. Akt, rec. 1997. Mark Feldman, Joyce Hammann, viol, Erik Friedlander, cello, Drew Gress, b, Dominic Cortese, acc., Uri Caine, p. Winter & Winter-CD).

DS: (Lacht, lacht...), ist eine Uri Caine-Geschichte, gute Sache, kenne natürlich auch all die Musiker, Feldman ist auch wieder dabei...


GYÖRGY KURTÁG:

QUARTETTO PER ARCHI, OP.1, 1959, 2.SATZ ("Musik für Streichinstrumente", rec. 1995. Keller Quartett. ECM New Series-CD).

DS:  Sehr gut produziert, sehr gut gespielt, abwechslungsreich, von Anfang an dynamische Breite, verschiedene Spieltechniken, ist‘s das Kronos Quartet, nein? Klingt nach Russland 1980 oder kommt jedenfalls aus östlicher Richtung...Sehr gut. Ist es Edisson Denissow?. Aber diese Schwermut ist nicht meine Sache.


MICHAEL BRECKER:

OUTRANCE* ("Time Is Of The Essence", rec. 1999). Michael Brecker, ts, Pat Metheny, g, Larry Goldings, p, Jeff "Tain" Watts, Elvin Jones*, Bill Stewart, dr. Verve-CD).

DS:  Whow!!! Michael Brecker! Das ist wahnsinnig, super. Heute gibt’s hunderte von Klons, die das Gleiche machen, aber er ist einzigartig. Der Gitarrist ist Pat Metheny, typischer Elvin Jones-Schluss, ist er’s ?   

                                                                        

Daniel, herzlichen Dank für Deinen Besuch.




 

© JAZZ & CULTURE Nr.4/1999
© Fotos: Peewee Windmüller



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