Johannes Anders
Musik - Journalist

MARTIN SCHÜTZ

Text von Johannes Anders

 "Martin Schütz ist the ultimate collaborator in all aspects of art and humanities, a prime mover … Dedicated musician, husband, father and brother to us all. A true inspiration in the international music community and the creative 'ZING' in every ensemble". Lawrence "Butch" Morris, New York, June 2004. 

Martin SchuetzMartin Schütz (*1954) lebt in Biel/Bienne und arbeitet als Improvisator und Komponist mit elektrischem und akustischem Cello und elektronischen Mitteln. Nach der Ausbildung zum klassischen Cellisten wandte sich Schütz dem Jazz und der Improvisation zu. Ab Mitte der 80-er Jahre begann er sich für elektrische Musik und elektronische Manipulation des akustischen Klangs zu interessieren. Daraus resultierte unter anderem der Bau des "electric 5-string-cello", das seit dem sein Hauptinstrument ist. Er hat mit unzähligen international bekannten Musikern gespielt. In den letzten Jahren ist er vor allem als Mitglied des Trios "Koch–Schütz–Studer" und als Komponist und Live-Musiker im Theater (u.a. mit den Regisseuren Christoph Marthaler, Luc Bondy und Ruedi Häusermann in Zürich, Berlin, Wien, Hamburg und München) sowie in Verbindung mit Tanz (u.a. Musik für zwei Produktionen der Tänzerin/Choreographin Anna Huber) in Erscheinung getreten. Daneben schreibt und produziert er auch regelmässig Musik für Hörspiele und für Filme (u.a. für Peter Liechti, Dieter Gränicher und Tobias Ineichen).


JOHANN  SEBASTIAN BACH (1685-1750):

1.) PABLO CASALS (1876-1973, rec. 1938. Electrola-LP).

2.) THOMAS DEMENGA (*1954, rec. 1991, ECM – CD).

GIGUE, 6. SATZ (aus Suite Nr.1 in G-Dur für Violoncello Solo).

MS: Klarer Fall, aus einer Solosuite von Johann Sebastian Bach, ist  zeitlose Musik, die zum Wenigen gehört, das ich mir immer wieder gern anhöre und gelegentlich auch für mich spiele. Unglaubliche Konstruktion und was mir noch gefällt, sind die Tänze aus der Volksmusik wie dieser hier, die er dann woanders hinführt. Die erste Version war ganz klar Casals und das ist für mich immer noch der Standard! Heute würde man sagen, das klingt dreckig, was u.a. damit zutun hat, dass er Darmsaiten verwendet, im Gegensatz zum zweiten Cellisten mit Stahlsaiten - modern, phantastisch gespielt, eleganter, kühler, tolle Technik, cellistenmässig eben. Aber die Casals-Version finde ich wahnsinnig stark, vom rauhen Sound, vom Gestus und der Intensität her, hat eine Verwandtschaft zu Bluesmusikern – grossartig, gefällt mit unheimlich – diese Klarheit …, und es swingt! Wenn einer bei einer Aufnahmeprüfung an einer Musikakademie mit soviel "Dräck" im Klang spielen würde, ich glaube, der käme nicht so gut weg.


OSCAR PETTIFORD QUARTET (1922-1960):

ALL THE THINGS YOU ARE (Oscar Pettiford, vc, Hans Koller, ts, Attila Zoller, b, Jimmy Pratt, dr, rec. 1959. Bertelsmann-45EP).

MS: Das ist vermutlich Oscar Pettiford, einer der ersten, der das Cello im Jazz verwendete und phantastisch, dass er diesen Schritt unternommen hat, hier mit einem metallischen Sound wie von einer Blues-Gitarre ... Die Musik dieser Aufnahme wirkt allerdings leicht antiquiert, wenn man bedenkt, welche Freiheit etwa Charlie Parker in diese strikten Formen hineingebracht hat …


HEINZ HOLLIGER (*1939):

TREMA FÜR VIOLONCELLO SOLO / 1981 (Auszug, rec. 1986, Thomas Demenga. ECM-CD).

MS: Toll wie sich da Verwandtschaften zur Improvisation auftun, dieses Fliessende von Melodischem und Geräuschhaftem, mit Obertönen, diese Instrumentbehandlung und Mehrstimmigkeit, als ob da mit Elektronik gearbeitet würde. Ich sehe da Ähnlichkeiten zu meiner Art, mit dem Bogen zu improvisieren, obwohl das hier ganz sicher Ton für Ton notiert und keine Elektronik im Spiel ist. Ganz hervorragend gespielt, phantastisch und ein sehr gutes Stück. (Nach Bekanntgabe:) Ich war mal bei einem Cellistentreffen in Montreal, wo Rohan de Saram, der Cellist des Arditti-Quartetts, ein Solostück von Xenakis spielte, das wie die leichteste Sache der Welt und wie eine Improvisation klang, obwohl natürlich alles minutiös geschrieben war. Nach dem Konzert traf ich Thomas und uns hing der Unterkiefer ganz weit runter und er erzählte, dass er ein Jahr an diesem Stück gearbeitet habe und es dann aufgegeben hätte. Wenn ich das hier höre, bin ich sicher, dass er diesen Xenakis doch schaffen würde.


DAVID HOLLAND (*1946):

INCEPTION ("Life Cycle", rec. 1982, David Holland, cello solo. ECM-CD).

MS: Tontechnisch hervorragend aufgenommen …, Kann mich noch genau daran erinnern, wo ich diese Platte gekauft habe. Zum Glück ist Dave Holland ein phantastischer Rhythmiker, denn sonst wäre das Ganze ja ein bisschen harmlos und auch schwatzhaft; die ganze Platte hat diese Tendenz, diese Angst, ja  nicht in die Abstraktion reinzukommen. Aber man merkt diese englische Nähe zur Volksmusik. Ich erinnere mich an eine rund 10 Jahre früher erschienene ECM-Duoplatte mit ihm und Derek Bailey. Das war dann zuerst ein harter Brocken, weil ich auf derart Abstraktes nicht vorbereitet war, bin dann aber voll eingestiegen. Jahre später las ich dann in einem Interview, dass sich Holland ziemlich üble, abschätzige Bemerkungen über improvisierte Musik erlaubt hatte - ganz blöd. Aber anyway - ein phantastischer Musiker. 


HONSINGER / CHRISTMANN DUO (*1949 / *1942): 

MAIL N0. 111 ("Earmeals", rec. 1978, Tristan Honsinger, vc, Günter Christmann, tb. Moers Music-LP):

MS : Ganz klar frei improvisierte Musik. Schön daran, wie Cello und Posaune ihre eigenen Bahnen ziehen, aber man merkt, beide haben ihre Antennen voll auf den anderen ausgefahren, wirklich sehr gut. Schade, dass das Cello so dünn klingt wie eine Gambe ... (Nach Bekanntgabe:) Was, das ist Tristan, dann ist das aber eine ganz schlechte Aufnahme, denn Tristan hat einen unglaublichen Sound, ist vermutlich der Lauteste auf dem akustischen Cello, ist virtuos und total Cellist, was mich aber eigentlich ganicht so interessiert; Hauptsache ist für mich, es ist gute Musik.


ERIC DOLPHY WITH RON CARTER (1928-1964 / *1937):

RALLY ("Eric Dolphy with Ron Carter", Auszug, rec. 1961, E. Dolphy, bs, Mal Waldron, p, Ron Carter, vc, George Duvivier, b, Charlie Persip, dr. Prestige-LP).

MS: Heijeijei …, eben -  das ist jetzt grossartige Musik, natürlich mit Ron Carter am Cello und mit Dolphy und Waldron; die Musik fliegt richtig. Ron Carter ist zwar ein total beschränkter Cellist aber das spielt hier überhaupt keine Rolle; das ist ein Abheben, Jubilieren, eine Lebensfreude, und was gibt es Besseres, als aus den Aspekten menschlicher Scheisssituation, die es im Leben nun mal gibt, wenigstens mit der Kunst abzuheben …  Und das ist mein Problem mit Tendenzen europäischer improvisierter Musik und mancher E-Musik, dass die in der – sorry – Scheisse stecken bleibt und man nicht rauskommt … Das hier ist einerseits spirituelle Musik, andererseits total sexy, es ist alles da – eine zeitlose Musik!


GYÖRGY LIGETI / DAVID GERINGAS (*1923 / *1946):

SONATA FOR CELLO SOLO, 2. SATZ / 1953) "The Ligeti Project V", David Geringas, Cello. Teldec Classics/Warner – CD).

MS: Ziemlich starke Sache! Es gibt ein Thema, ist aber trotzdem in der improvisierten Musik – oder nicht ? Klingt wie ein Cellist, der auch improvisieren kann, der was von Jazz versteht, von Rhythmik, von rhythmischer Dynamik – sehr guter Spieler, toller Sound, gut aufgenommen, hat entfernt irgend etwas mit östlicher Volksmusik zutun … JA: Ligeti ist Ungar … MS: Phantastisch !


ERNST REIIJSEGER / TENORE E CONCORDU DE OROSEI (*1954):

A UNA ROSA ("Colla Voche", Auszug, Ernst Reijseger, vc, voice. Winter & Winter – CD).

MS: Ich denke das ist der Reijseger mit dem sardischen Männerchor und die Verbindung von traditioneller Musik und Improvisation funktioniert hier sehr gut, denn man muss ja bedenken, dass das Cello hier eigentlich ein Fremdkörper ist. Aber der hat das gut integriert . Wir haben mit Koch-Schütz-Studer auch derartige Begegnungen  unternommen, mit ägyptischen und mit kubanischen Musikern und immer, wenn ich z.B. die "fidel"-CD irgendwo höre, bin ich erstaunt, wie gut das funktioniert. JA: Bei Reijseger steht das aber irgendwie doch nebeneinander, während ihr die Musiken sehr eng miteinander verwoben habt. MS: Das Gefährliche ist ja bei solchen Sachen, dass man harmonisch zu sehr drin gefangen bleibt oder aber, dass man zu schräg, zu far-out ist und es dann nicht richtig zusammengeht. 


KRZYSZTOF PENDERECKI / SIEGFRIED PALM (*1932 / *1927):

SONATA PER VIOLONCELLO E ORCHESTRA ("Penderecki", Auszug, rec. 1965, S. Palm, Violoncello, Philharmonisches Orchester, Poznan, Andrzej Markowski, Leitg. Wergo – LP).

MS: Stark – sehr gute Musik! - könnte Penderecki sein, Superkomposition, gut gespielt, nur leider schlecht aufgenommen oder abgemischt. Wer spielt da Cello? Palm …, ein absoluter Verfechter zeitgenössischer Musik als Professor wie als Interpret. Das hier ist auch eine Komposition, die meine vorherige Aussage vom Stillstand widerlegt, denn hier hat es beispielsweise rhythmische Dynamik und es passiert etwas. Und selbstverständlich spielt immer eine grosse Rolle, wie qualitativ hochstehend ein Ensemble eine derartige Komposition interpretiert. Was mir hier sehr stark in den Sinn  kommt, ist, dass es sehr viele Leute in der improvisierten Musik und im Jazz gibt, die auch komponieren und wenn ich dann solche Kompositionen wie diese hier höre, habe ich den Eindruck, dass wir zum Teil manchmal schon wahnsinnige Anfänger sind … Aber wenn wir z.B. als Koch-Schütz-Studer gute Abende haben, erreichen wir, wenn es extrem gut funktioniert und alle, auch die Hörer, ihre Antennen ausgefahren haben, dass man bei uns die Musik nicht mehr als Improvisation sondern als extrem spannende Komposition wahrnimmt.


1.) JULIUS HEMPHILL TRIO, ABDUL WADUD (*1938 / *1947):

LONG RHYTHM ("Raw Materials and Residuals", Auszug, rec. 1977, J. Hemphill, sax, A. Wadud, vc, Don Moye, dr. Black Saint-LP).

MS: Das ist ein klassischer Fall von Improvisation, die von einem Thema ausgeht und mit diesem Material arbeitet, was ich ziemlich misslungen fand, weil es auf einem dynamischen Level stehen bleibt, von der Rhythmik her etwas Zickiges hat und mir wenig erzählt. Ich kenne diese Musik gut, weil ich diesen Weg früher hin und wieder auch beschritten habe. Wenn da Abdul mitspielen sollte, muss ich sagen, ich habe ihn schon besser gehört, z.B. auf seiner Soloplatte …


KARL EIN KARL & CO:

CAPRICCIO 2: STADT / SERENATA ("ja", Sprechmusik und Musiksprachen auf Texte von Konrad Bayer, rec. 1997, Alfred Zimmerlin, vc, Michel Seigner, g, Peter K. Frey, b, Peter Schweiger, Sprecher. Musicszene Schweiz/MGB-CD).

MS: Das erste Stück fand ich sehr gut, auch die Entsprechungen und Verbindungen von Sprache und Musik, am Anfang noch ziemlich ordentlich, also Text und Musik abwechslungsweise, und dann immer mehr verschränkt …, kompositorisch oder improvisatorisch gut gelöst. Schon hier vermutete ich, es könnte eigentlich Alfred sein mit Karl ein Karl. Die Texte stammen von einem österreichischen Autor, auf dessen Namen ich aber jetzt nicht komme. Beim zweiten, rein instrumentalen Stück habe ich Alfred dann ganz klar erkannt. Er ist ein sehr aufmerksamer Musiker, der meist im Hintergrund lauert, um dann ganz plötzlich dramatische Wechsel in der Musik zu provozieren. Das gefällt mir sehr und auch sein hintersinniger Humor, als Typ wie als Musiker. Was man übrigens bei Alfred auch immer wieder sehr stark spürt ist, dass er sehr viel Neue Musik gehört hat und selber komponiert. Das fliesst ganz stark auch in seinen Improvisationsgestus ein, er komponiert also auch beim Improvisieren.


DAVID DARLING (*1941):

DARKWOOD 6 ("Dark Wood", Auszug, rec. 1993, David Darling, vc solo. ECM-CD).

MS: Schöne Musik, erzeugt mit den Tremoli und Obertönen eine schöne Atmosphäre, ist improvisiert, aber mit gedanklichem Konzept und mit Delay-Einsatz, … Wer ist das? Ah, David Darling, ein schönes Ding von ihm, denn ich habe auch schon Sachen von ihm gehört, die ich an der Grenze zum Kitsch empfand … 


ERIKM & CHRISTIAN FENNESZ (*1970 / *1962):

Uraufführung SWR2 36:22 ("SWR NowJazz Session", Donaueschinger Musiktage 2003, Auszug, erikm und Christian Fennesz, laptops, electronics. Ab SWR-Sendung).

MS: I like it! – ganz schön, hat etwas von filmischer Qualität ... Manchmal war mir die über längere Zeit wiederkehrende harmonische Figur fast etwas zu stark, zu penetrant … JA: Der Eindruck entsteht sicher nicht, wenn man die mehr als halbstündige Improvisation als Ganzes hört … MS: Vieles der heutigen elektronischen Musik ist in einer Sackgasse, das hier gefällt mir aber sehr. (Nach Bekanntgabe:) Ich finde beide sehr gut, mit Fennesz haben wird auch schon mehrmals zusammengespielt.


Martin, ganz herzlichen Dank fürs Mitmachen.




 © JAZZ 'N' MORE Nr. 4/2004
Fotos: © Peewee Windmüller



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