Johannes Anders
Musik - Journalist

HANS FEIGENWINTER

Text und Fotos von Johannes Anders

Hans Feigenwinter 1Hans Feigenwinter wurde 1965 in Basel geboren. Als Teenager spielt er in Popgruppen, gleichzeitig begann er, sich für Jazz zu interessieren und arbeitete u.a. mit Buddy De Franco, Franco Ambrosetti, Woody Shaw, Jerry Bergonzi, Daniel Schnyder, Rick Margitza, Chico Freeman, Gary Bartz, dem Peter Schärtli Sextett mit Glenn Ferris, dem Althaus/Schönhaus Express sowie den Hip Noses. Er unterrichtet an den Jazzabteilungen der Musikhochschulen von Basel und Luzern. – Seine eigenen Ideen gelangten anfangs in Gruppen wie „Thin King“, „Rough Bop“ oder auf den Kassetten „Artificial Nonsense“ und „Tauchen im Amazonas“ an die Oberfläche. Die erste eigene Aufnahme mit improvisierter Musik ist die Trio-CD „Lift“. Feigenwinter war massgeblich am Ensemble-Projekt „ZAP“ beteiligt, das TV-Serien-Melodien verarbeitete und mit dem ebenfalls eine CD entstand. 1997 veröffentlichte er die CD „in“ mit einem Quartett aus Cello, Trompete, E-Bass und Klavier. 1999 erschien die CD „GAS“ (Great American Songs), auf der sich Feigenwinter zusammen mit Bänz Oester und Norbert Pfammatter dem Jazz-Standards-Repertoire annimmt. 2000 spielte „GAS“ in einer Konzerttournee zusammen mit dem Saxofonisten Joe Lovano. In letzter Zeit beschäftigen Feigenwinter vermehrt Kompositionsarbeiten und er vertonte einige Hörspiele für SR DRS2. Letzten Frühling wurde Feigenwinters bisher umfangreichstes Werk „TANK“ uraufgeführt, eine Sammlung von Instrumentalsongs für grosses Ensemble, veranstaltet vom inzwischen renommierten, das ganze Jahr 2001 prägenden „Basler Musikmonat“, wo Feigenwinter einer der „Composers of the Week“ war. Eine Selektion von Aufnahmen dieses von SR DRS2 aufgezeichneten Konzerts erschien inzwischen in limitierter, jedoch nicht im Handel erhältlicher Auflage. – Mit einem Sextett, bestehend aus dem Arte Quartett sowie Wolfgang Zwiauer, e-b, und Feigenwinter, p, machte er inzwischen Aufnahmen, die demnächst auf dem Label „Altri Suoni“ erscheinen. Hier verdichtete er Komposition und Improvisation zu einer neuen Synthese. Kontrastierend zum zeitaufwändigen Prozess des Komponierens gibt der Pianist immer wieder auch Solokonzerte, die er im Geist momentinspirierter Improvisation gestaltet. Aber auch mit seinem Trio mit Pfammatter und Oester, das neben dem Standardsmaterial vermehrt Eigenkompositionen von Feigenwinter und Oester spielt und sein Repertoire inzwischen u.a. für binäre Beats und freien Puls geöffnet hat, tritt er weiterhin auf. Im März wird das Trio ins Studio gehen. Erscheinungsdatum der CD und die nächste Tournee sind für kommenden Herbst vorgesehen.


MICHAEL PRAETORIUS (1571-1621):

6 DAENTZE AUS TERPSICHORE („Terpsichore, Wolfenbüttel 1620“, rec. 1960, Auszug. Collegium Terpsichore, DGG-Archiv-LP).

HF: Grossartig! Als ich das vor Jahren zum ersten Mal hörte, war das wie neue Musik für mich, vor allem auch, weil Tonarten auf ganz interessante Art aufgeweicht werden und manchmal nicht mal ganz klar ist, wo ein Zentrum ist. Ich nehme an, das ist aus der Praetorius-Sammlung „Terpsichore“. Auch rhythmisch ist das eine spannende Sache, mit Akzenten wie in der Groove-Musik, wo die Leute 12/8 spielen.


EUBIE BLAKE (1883-1983):

CHARLESTON RAG („The Eighty Six Years Of Eubie Blake“, rec. ca.1970. Eubie Blake, Solopiano. Columbis-2LP).

HF: Das klingt, als ob hier jemand Authentisches spielt. Interessant, wie das daran erinnert, dass der Jazz aus lauter populären Sachen des 19. Jahrhunderts entstanden ist, aus Salonmusik, die teilweise stark rhythmisiert wurde. Ich denke da an Leute wie Jelly Roll Morton... 


ERROLL GARNER:

LAURA („Gems“, rec. 1951-53. E. Garner, p, John Simmons, b, Shadow Wilson, dr. CBS-LP).

HF: “Laura“, eine meiner Lieblingsballaden..., mit Norbert und Bänz habe ich die auch aufgenommen. Eine relaxt gespielte, sehr vereinnahmende, charmante Musik, der man sich nicht entziehen kann. Von wegen „Streuselkuchenpiano: Ich empfinde das auch ein bisschen so, denn es wird einfach jede Phrase, jeder melodische Atemzug mit vielen Girlanden kommentiert,wodurch das Ganze manchmal etwas in Einzelteile zerfällt und dadurch die  Handlung verloren zu gehen droht. Aber der volle Klang und die Art, die Melodie in die Akkorde reinzunehmen, wie das Erroll Garner macht – er ists? - das finde ich schon phantastisch, vor allem in Up-Tempo-Titeln wie zum Beispiel „I‘ll Remember April“ vom berühmten „Concert by the Sea“. 


KURT WEILL:

DIE MORITAT VON MACKIE MESSER

1.)   JOACHIM KÜHN TRIO („The Threepenny Opera“, rec. 1995. J. Kühn, p, Daniel Humair, dr, Jean-François Jenny-Clark, b. Verve-CD).

2.)   JACQUES DEMIERRE („Fabriksongs“, rec. 1989. J.Demierre, Solopiano. Plainisphare-CD).

Hans Feigenwinter 2HF: „Mackie Messer“ von Herrn Weill..., eine interessante Figur, die in Deutschland angefangen und als Emigrant in Amerika aufgehört hat. Melodisch sind das alles Sachen, die ganz im Fahrwasser der Broadway-Komponisten sind. Vor allem beim zweiten Pianisten fand ich interessant, wie er immer auf der penetranten, dritten Note des Themas insistiert. Dieses Ungleichgewicht der Melodie nutzt der Spieler schamlos aus. Ähnliches habe ich zum Beispiel von Ran Blake gehört, also die Melodie mit ziemlich „blechernen“, antonalen Sounds unterlegen, wodurch sich die Melodie auf eine ganz neue Art herausschält, eine sehr interessante Textur, die etwas Ähnliches hat wie ein Stride Piano...JA: Und zur ersten Version? HF: Da war zuerst einmal interessant zu hören, aha, das ist also dieses Thema...Dann gibts lustige Assoziationen, weil das pianistische Vokabular an das erinnert, was McCoy Tyner in den sechziger Jahre entwickelte, das hier aber auf eine freejazzige Weise erweitert wurde. Der Pianist ist ein befreiter Bopper, vielleicht ein befreiter Europäer - sehr interessante Leute, die vom Bebop herkamen und in den sechziger Jahren ein freies oder modales Vokabular dazunahmen, Schwellenpianisten eben wie etwa Paul Bley oder der frühe Keith Jarrett.


OSCAR PETERSON TRIO:

CON ALMA  („The Jazz Soul Of Oscar Peterson“, rec. 1959. O.Peterson, p, Ray Brown, b, Ed Thigpen, dr. Verve-CD).

HF: Ganz herzig..., ein Kabinettstückchen für Pianotrio - aus einer Zeit, wo es darum ging, bei Leuten Akzeptanz zu schaffen, die sonst keinen Jazz hören. In der Phrasierung erinnert mich das an Oscar Peterson, auch durch das Spektrum der starken Akzentsetzungen. Ist auch eine Spielweise, die viel dem Bebop verdankt, die aus dem Vollen schöpft, auch in der Kombination mit den Blues-Floskeln. Auf die Dauer finde ich diese immer gleiche Phrasenstruktur allerdings etwas eintönig, aber klanglich zwischen den Instrumenten sehr schön aufgeteilt – ein schöner Farbenreichtum. 


JOE LOVANO:

CENTRAL PARK WEST / EVOLUTION („From The Soul“, rec.1991. J.Lovano, sax, Michel Petrucciani, p, Dave Holland, b, Ed Blackwell, dr. Blue Note-CD).

HF: Vom Charakter und vom Motivischen her erinnert mich das Stück an „Giant Steps“ bzw. wie ein Zitat daraus. In „Giant Steps“ wird die Oktave in drei Teile geteilt, hier sind es vier, es sind also vier Tonikas drin..., ein witziges, geometrisches Spiel, das ich auch mal durchexerziert habe, die Oktave also gleich einzuteilen, wobei es wenig Unterschied macht, ob die Zentren nun aus drei grossen oder vier kleinen Terzen bestehen; der Charakter bleibt ähnlich. JA: Es ist auch der gleiche Komponist (Coltrane). - Und der Saxophonst...? HF: Auf den habe ich mich garnicht konzentriert...; darf ich noch etwas mehr von ihm hören? JA: Ich spiele ein weiteres Stück, diesmal von ihm selbst... HF: Lacht..., wenn das der Lovano ist - im ersten Stück habe ich ihn nicht erkannt, es sind wie zwei verschiedene Spielweisen. Hier kommen seine typischen Färbungen, die wie langsam verschwindenden Linien, die dynamischen Wellen viel  besser zur Geltung. Die Tournee mit ihm war natürlich sehr interessant und es war ein stimmiges Quartett. Aber unser Trio hat eigentlich mehr Facetten, als wir zum Ausdruck bringen konnten; vieles von dem blieb auf der Strecke, hatte keinen Platz. Es ging meinem Empfinden nach zu viel auf die Kraftseite, die mich dann interessiert, wenn sie auch Kontraste erfährt und die sind irgendwie ausgeblieben.


KEITH JARRETT:

FREIE IMPROVISATION (Willisau, Mohren, 30.3.1973, Auszug. K. Jarrett, Solopiano. Radioaufn.)

HF: Schon als Kind habe ich am Klavier improvisiert und kleine Stegreifstücke geformt, die ich dann an Vortragsübungen vorgespielt habe. Und da fragte mich mein Sekundarlehrer, ob ich Keith Jarrett kennen würde, der mir aber damals noch kein Begriff war. Als ich sein Spiel dann kennenlernte, bedeutete das für mich eine der glücklichsten Musiken. Bei ihm kommt vieles zusammen, das improvisatorisch schön ausbalanciert in verschiedenen Schichten zu einer wunderbaren Synthese zusammenwächst und Faszination auslöst: Elemente aus Blues und Bebop, volksliedhafte Einfachheit, rhythmische Komplexität und das ohne Reprisen gestaltete, musikalische Fortschreiten, bei dem das Publikum mitgehen kann.


STEVE KUHN TRIO:

THE NIGHT HAS A THOUSEND EYES („Childhood Is Forever“, rec. 1969. S.Kuhn, p, Steve Swallow, b, Aldo Romano, dr. Charly-BYG-CD).

HF: “...Thousend Eyes“, tausend rauschende Ozeane..., sehr sympathisch, auch in Bezug zur Emanzipation der linken Hand mit ihren tausenden von Möglichkeiten... Sehr schön der Kontrast zwischen den klaren, zum Teil wie skizzierten Linien der rechten Hand und den akkordischen, Metallsplitter-artigen noisy sounds der linken. Und auch wieder einer dieser Schwellenpianisten - aufgenommen vielleicht in den sechziger Jahren...


AHMAD JAMAL:

BUT NOT FOR ME („At The Pershing“, rec. 1958. A. Jamal, p, Israel Crosby, b, Vernell Fournier, dr. Chess-CD).

HF: ...lacht, singt mit...: Ahmad Jamal mit „But Not for Me“, meisterlich! Grossartig, wie er eine Zeile des Texts spielt und dann zum Beispiel das letzte Wort auslässt, er spielt sozusagen mit dem Text. Das ist sehr populär und gleichzeitig ein ziemlich abstrakter Umgang mit dem Material – dieser Sinn für Pausen, für Auslassungen, wunderbar. Und sein vorwiegendes Spiel im höchsten Register, nicht als übliche Intensitätssteigerung, sondern als Erhöhung der Transparenz und damit der Spannweite zwischen Bass und Melodie, wodurch eine spezielle Eleganz entsteht, grossartig. 

Hans Feigenwinter, herzlichen Dank, dass Du Dir die Zeit genommen hast, von Basel nach Nürensdorf zu kommen.

 

(Leider fanden nicht alle Kommentare von Hans Feigenwinter Platz, etwa zu CDs wie Marc Copland Trio, Krystian Zimerman mit Préludes von Debussy, Miles Davis Quintet Paris 1967, Andrew Hill, Glenn Gould mit Goldberg Variations 1955, Enrico Pieranunzi Trio, Il Giardino Armonico, Götz Alsmann, Geir Lysne Listening Ensemble, D.D.Jackson, The Music Of Maria Schneider - SWR Big Band, Schlüter-Nabatov-Antolini, Dado Moroni Trio im Bird’s Eye, Kaufleuten DJ Traxx Vol.2 by Oliver Stumm.) 




 © JAZZ 'N' MORE Nr. 1/2002
Fotos: © Johannes Anders



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