Johannes Anders
Musik - Journalist

CHRISTOPH MERKI

von Johannes Anders

Christoph MerkiDer Aargauer Altsaxophonist Christoph Merki, 35, kam mit dem Jazz erstmals an ungewohntem Ort in Berührung: Am Gymnasium Einsiedeln durch die Vermittlung von Gregorianikexperte Pater Roman Bannwart. Erst 1995 zog es den "Spätberufenen", so Merki, an die Berufsabteilung der Jazzschule Luzern (Abschluss 1999). Zuvor Besuch der Zürcher Workshops des Bassisten K.T.Geyer. Projekte mit Jürg Sommer und Christoph Baumann, Aufnahmen mit dem Herbie Kopf Quartet und mit dem Zürcher Pianisten Marco Dreyfuss, sowie mit der "Swiss Big Band Eruption". Saxophonist bei "Magog". 1999 mehrere New-York-Aufenthalte. Seit drei Jahren vor allem mit dem eigenen Sextett "christoph merki music.01" befasst, mit Chris Wiesendanger(p), Dani Schenker(tp), Matts Eser(marimba), Stephan Athanas(b) und Tony Renold(dr) . Mit der soeben erschienenen CD "circles" in gleicher Besetzung, die kürzlich im Programm von SR DRS 3 sowie mit einem Konzert im Zürcher Kunsthaussaal ausführlich vorgestellt wurde, versucht Merki eine Kreuzung von Jazz, Minimal Music und Ambient. Der promovierte Historiker arbeitete übrigens auch als Journalist für Lokalradio und Tageszeitungen. Derzeit ist er Kulturredaktor bei der "Aargauer Zeitung".


LENNIE TRISTANO:

INTUITION ("Classics in Jazz", rec. 1949. Lennie Tristano Sextett: Lennie Tristano, p, Lee Konitz, as, Warne Marsh, ts, Billy Bauer, g, Arnold Fishkin, b, Denzil Best, dr. Capitol-EP).

CM: Die Platte knistert etwas..., klingt traditionell,  könnte aber vom Aufbau und der Dramaturgie her was ganz Modernes sein. Unheimlich interessante Geschichte. Schlagzeuglos, scheint aus der Tristano-Ecke zu sein, diese verschlungenen Linien...Kenne den frühen Lee Konitz nicht so gut, er wird es aber sein. Interessant seine Entwicklung: Er hat irgendwie seinen damaligen Sound, der offener, polierter, glänzender war, verloren. Wie mir scheint, ist das aber ein ganz bewusster Akt, weg von dieser Ebene, auf der viele Saxophonisten, auch so manche der Young Lions, gern glänzen und blenden wollen, wozu übrigens oft auch die Vituositätsebene dient. Heute ist sein Spiel viel introvertierter..., man könnte von einer Art Anti-Sound sprechen, von einer mit zunehmendem Alter verstärkten Suche nach dem Kern, dem Urmaterial.


ORNETTE COLEMAN:

ANGEL VOICE ("Something Else! - The Music Of Ornette Coleman", rec. 1958. Ornette Coleman, as, Don Cherry, tp, Walter Norris, p, Don Payne, b, Billy Higgins, dr. Contemporary-LP. 

CM: Klingt auch traditionell, aber irgend etwas ist beim Altisten, das nicht so traditionell ist. Der Sound hat das Ungepflegte, das auch Ornette Coleman hat... Es könnte tatsächlich der Ornette sein, der hier für einmal auf einer der typischen Rhythm Changes spielt.


Christoph MerkiJOE HARRIOTT QUINTET:

STRAIGHT LINES ("free form", rec.1960. Joe Harriott, as, Shake Kean, tp, flh, Pat Smythe, p, Coleridge Goode, b, Phil Seaman, dr. Jazzland/Riverside-LP).

CM: Kenne keinen Altsaxophonisten, der mich irgendwie an den hier erinnert. Aber sehr interessante Komposition, der Aufbau ... Die Rhythm Section spielt sehr straight. Irgendwie spüre ich etwas den Blacky-Geist, den Messengers-Geist. Der Altsaxophonist kommt mir vor wie ein überkandidelter Gary Bartz ...


ERIC DOLPHY

SOFTLY AS IN THE MORNING SUNRISE / RALLY / WHERE? ("Where - Eric Dolphy with Ron Carter", rec. 1961. Eric Dolphy, as, bcl, fl, Mal Waldron, p, Ron Carter, b, cello, George Duvivier, b, Charlie Persip, b. Prestige/New Jazz-LP).

CM: Ahnvater Charlie Parker klingt durch. (Nach Anspielen des 2.Stücks:) Alles klar, Eric Dolphy an der Bassklarinette. Auf dem ersten Stück wirkt er sehr brav...; interessant, den Dolphy mal so unanarchisch zu hören.


JOHN COLTRANE:

LEO ("The Mastery Of John Coltrane / Vol.III, Jupiter Variation", rec. 1967. John Coltrane, ts, bells, Rashid Ali, dr. Impulse-LP).

CM: Da waren die Freejazzer schon am feuerwerken... Ist das Coltrane in seinem Todesjahr? JA: ja. CM: Mit dieser späten Phase von Trane kann ich nicht so viel anfangen. Diese Intensitätsorgien hat man mal irgendwann gehört...


Christoph MerkiJOHN COLTRANE:

ASCENSION ("Ascension", Auszug Beginn Seite 2, rec. 1965. John Coltrane, ts, ss, Freddie Hubbard, Dewey Johnson, tp, Pharoah Sanders, Archie Shepp, ts, John Tchicai, Marion Brown, as, McCoy Tyner, p, Jimmy Garrison, Art Davis, b, Elvin Jones, dr. Impulse-LP).

CM: Das gefällt mir jetzt! Phantastisch der motivische Anfang, total heiss, was da läuft. Whow, ziemlich grossorchestrale Angelegenheit. Wann ist das aufgenommen ? (Lacht laut beim exzessiven Solo von Sanders). Phantastisch finde ich auch diese Drauflosspiel-Attitüde, diese unheimliche Energie. Man will nicht alles kontrollieren, bei uns heute häufig das Problem... Tut gut, das zu hören...


OLIVER NELSON:

HOE-DOWN ("The Blues And The Abstract Truth", rec. 1961. Oliver Nelson, as, ts, Freddie Hubbard, tp, Eric Dolphy, as, fl, Bill Evans, p, Paul Chambers, b, Roy Haynes, dr. Impulse-LP).

CM: Könnte wieder Freddie Hubbard sein, und der Dolphy !..., hier wieder der Antiästhet, viel frecher und freier als vorhin, ein Musiker ohne jede Blockade, ohne Zensur im Kopf !


STEVE REICH:

MUSIC FOR 18 MUSICIANS, SELECTIONS I - IV ("Music For 18 Musicians", Auszug, rec. 1976. Steve Reich and Musicians. ECM-LP).

CM: (Reagiert sofort:) Das ist Steve Reich ! (Nach kurzem Überlegen:) Ist das die Musik für 18 Instrumente? Ich liebe den natürlich, habe ihn aber erst relativ spät entdeckt. Mich fasziniert der Sog dieser Musik, die repetitive Wirkung. Man kommt wirklich nicht mehr davon los, das zieht mich ungemein rein...Ich glaube, Reich hat das Marimbaphon emanzipiert; bin ein grosser Marimba-Fan.


CANNONBALL ADDERLEY:

TOY ("Know What I Mean", rec. 1961. Cannonball Adderley, as, Bill Evans, p, Percy Heath, b, Connie Kay, dr. Riverside-LP).

CM: Das ist Cannonball Adderley, dieser erdige, fleischige Sound...Habe aber mein Problem mit ihm: er hat dieses bluesige Feeling, das ich nicht so mag; er ist mir zu körperlich, der doppelte Boden fehlt, die Prise Metaphysik. Beim ersten Hören hat man bereits den ganzen Cannonball.


GIL EVANS ORCHESTRA:

LA NEVADA ("Out Of The Cool", rec.1960. MCA/Impulse-CD).

CM: Heiss, heiss...! Schade, dass der Gitarrist mitspielen muss, macht mit diesen banalen Chords das Stück kaputt. Aber total schön orchestriert, klingt nach Gil Evans.


Christoph MerkiJIMMY GIUFFRE 3:

EMPHASIS ("Jimmy Giuffre 3, 1961 - Fusion & Thesis", rec. 1961. Jimmy Giuffre, cl, Paul Bley, p, Steve Swallow, b. ECM-2CD-Kassette). 

CM:  Klarinette war mein erstes Instrument. Es gibt ja nicht so viel gute Klarinettisten im Jazz und das hier ist keiner dieser Postbopper. Vom Range her müsste das eigentlich der Jimmy Giuffre sein. Total gute Platte, kenne ich nicht. Stehe ich soo drauf... Diese Musik hat jetzt den doppelten Boden, den ich bei Cannonball vermisse. Phantastisch !! Muss ich mir unbedingt kaufen, sackstark, faszinierend..., drei erleuchtete Musiker! JA: Zwei LP-Editionen, die ursprünglich auf Verve herauskamen und 1992 in vorbildlicher Edition bei ECM wiederveröffentlicht wurden.


LEE KONITZ & MARTIAL SOLAL:

BODY & SOUL ("Star Eyes Hamburg 1983". Lee Konitz, as, Martial Solal, p. hatOLOGY-CD / released 1998).

CM: (Nach den ersten Tönen:) Ist der Lee Konitz ! Hörst Du den Unterschied im Sound, ist so anders als bei den früheren Aufnahmen. Der braucht niemanden mehr etwas beweisen.


NATHANAEL SU / MICHAEL KANAN:

BODY AND SOUL ("Maria’s Place", rec. 1991. Nathanael Su, as, Michael Kanan, p. percaso production-CD).

CM: Ist wieder "Body and Soul"..., enorm die Ruhe, die der Lee ausstrahlt. JA: ...der Lee ? CM: Sind wir langsam doch in der Schweiz angelangt, meinst du? JA: Ich meine garnichts... CM: Könnte mir vorstellen, dass das der Nat ist mit dem Mike Kanan. Ich war zuerst etwas irritiert, weil ich dachte, du willst mir noch mal die erste Besetzung in anderer Version vorspielen... Der Nat hat einen viel expressiveren Ton, als der heutige Lee, der eher defensiv wirkt. Nat ist ein wunderbarer Saxophonist, ich steh auf ihn !


Christoph MerkiROSCOE MITCHELL:

BESSIE HARRIS / HOP HIP BIP BIR RIP ("Nine To Get Ready - Roscoe Mitchell and the Note Factory", rec. 1997. Roscoe Mitchell, ss, as, ts, Hugh Ragin, tp, George Lewis, tb, Matthew Shipp, Craig Taborn, p, Jaribu Shahid, b, voc, William Parker, b, Tani Tabbal, dr, voc, Gerald Cleaver, dr. ECM-CD).

CM: Das beeindruckt mich jetzt nicht so wahnsinnig...(Beim zweiten Stück:) Das gefällt mir jetzt sehr gut, auch von der Stimmung her, das Monotone...; Du weisst ja, ich mag Monotonie...Für einen Kompositionskurs wahrscheinlich nicht so brauchbar... Ich finde das aber eigentlich spannend, höre zu, was für Geschichten die erzählen, wie sich alles entwickelt...Gehört  jedoch zu diesen freien Platten, die ich meistens nur einmal höre...


DIDIER LOCKWOOD:

JUGGLING IN CENTRAL PARK ("New York Rendez-Vous", rec. 1995. Didier Lockwood, viol, Dave Liebman, sax, Dave Kikoski, p, Dave Holland, b, Peter Erskine, dr. Disques JMS-CD).

CM: Ist Wahnsinn...(nach Einstieg Liebman.) Die Bewältigung der technischen Schwierigkeiten ist Dave-Liebman-mässig; er ist ja ein Alleskönner. Wer ist denn dieser tolle Geiger ?


EVAN PARKER ELECTRO-ACOUSTIC ENSEMBLE:

SERPENT IN SKY ("Drawn Inward", rec. 1998. Evan Parker, ss, ts, khène, Phil Wachsmann, viol, viola, live elctr., sound proc., Barry Guy, b, Paul Lytton, perc, live electr., Lawrence Casserley, Walter Prati, Marco Vecchi, live elect., sound proc. ECM-CD).

CM: (Nach Streicher-Intro:) Aha, da kommt ein Sopransax dazu...; das ist die neue Evan Parker-CD. Für mich ist die ganze Platte - ich kenne sie -, zu stark in der Noise-Ecke..., und alles irgendwie in Auflösung begriffen...


CHARLIE MARIANO / JASPER VAN'T HOF / MIROSLAV VITOUS:

KONZERT-AUSZUG ("Jazz in Winterthur", Live-Aufnahme, Alu-Aula, 21.4.89. Charlie Mariano, as, Jasper van't Hof, p, Miroslav Vitous, b).

CM: Der Saxophonist hat die Energie eines jungen Füllens, ein Hochgeschwindigkeitskünstler, hat aber für mich nicht sehr viel Eigenes, wer ist das ?


BENNY WALLACE:

I LOVES YOU PORGY (Live-Aufn. vom <jazznojazz>-Festival, Zürich 1999. DRS 2, 31.10.99).

CM. Ist vom Typ <Alter Mann unter dem Affenbrotbaum erzählt...>. Finde es schön, diese Musik hat Wärme, eine Art akustisches Cheminée-Feuer. Sehr konkret, nicht die Eiseskälte der Abstraktion.


Christoph MerkiHARALD HAERTER GROUP, FEAT. MICHAEL BRECKER: 

KONZERT-AUSSCHNITT (Jazz Festival Willisau 1997, DRS 3, 18.1.98).

CM: Klingt extrem nach Brecker. Auch er ein Alleskönner, total flüssig, technisch sehr gut. Für mich allerdings ein Saxophonist, der sich beim Hören ziemlich schnell abnutzt, hat immer die gleichen Tricklein drauf. Aber alle spielen wunderbar, können alles, Jazz auf gutem Niveau, aber es inspiriert mich nicht sonderlich.


MARC COPLAND QUARTET & BOB BERG:

SOUL EYES ("Live im Stadtgarten Köln", 24.10 99. Marc Copland, p, Bob Berg, ts, Ron McClure, b, Billy Hart, dr. DLF 3.1.2000).

CM: Das ist "Soul Eyes" … JA: von Mal Waldron … CM: … und es ist Bob Berg ! Gefällt mir sehr gut, weil er hier nicht so bolzt; lebt für mich mehr als der Brecker, sehr schön, einer meiner Favorites !

Christoph, herzlichen Dank fürs Mitmachen.




© JAZZ 'N' MORE Nr.1/2000
© Fotos: Peewee Windmüller



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