Johannes Anders
Musik - Journalist

NILS WOGRAM

Text von Johannes Anders

Nils WogramNils Wogram, 1972 in Braunschweig geboren, mit 12 Jahren Unterricht auf dem Euphonium, mit 15 Wechsel zur Posaune. Mehrmals Teilnahme am Klassikwettbewerb Jugend musiziert und Erhalt zahlreiche Preise auf Bundesebene. Mitglied im Bundesjugendjazzorchester und einiger Jazzcombos. Nach dem Abitur an die New School New York. Hier Studium bei bedeutenden Musikern wie Richie Beirach, Kenny Werner, Maria Schneider, Conrad Herwig, Buster Willams u.a. Nach zweijährigem Studium 1992 nach Köln; hier Studiumabschluss an der Musikhochschule. Danach Start einer Karriere als Posaunist und Komponist mit bisher 10 CD-Veröffentlichungen als Leader/Co-Leader (u.a. bei Enja und ACT). Seit mehreren Jahren Leitung von Gruppen, die ausschliesslich seine Kompositionen spielen: Nabatov-Wogram Duo, Root 70, Nils Wogram Septett, Nils Wogram Nostalgia Trio. Ausserdem Sideman in den Bands von Lucas Niggli, Aki Takase und Underkarl. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen, u.a. SWR-Jazzpreis und Kompositionsauftrag der Pro Helvetia. Konzerte und Tourneen in Europa und Amerika. Zusammenarbeit mit renommierten Musikern wie Simon Nabatov, Kenny Werner, Brad Shepik, Kenny Wheeler, Fred Frith, Phil Minton ua. „Nils ist nicht nur ein Posaunist der Extraklasse, der auch eine Familie hat und leidenschaftlich Fussball spielt, er ist auch ein entspannter Freak, der sich überall mit derselben Präsenz und Neugierde den Dingen annimmt, sich inspirieren lässt, sie bewegt. Er ist der komplette Musiker schlechthin, ein eigenständiger Komponist, grossartiger Instrumentalist, engagierter Gruppenspieler, einer der most-wanted­-european-musicians mit Null Allüren“, findet der Ustermer Drummer und Bandleader Lucas Niggli.


JOHANNES BAUER / DIETRICH PETZOLD / MAX E. KELLER:

INTERPLAY ("Trio Ampio", rec. 2003, Berlin, J. Bauer, tb, D. Petzold, v, viola, Max E. Keller, p. Privat-CD).

NW: Ein frei improvisiertes Stück, das aber sehr ausgefeilt und schön gegliedert ist; es erscheinen immer wieder melodische oder auch strukturelle Elemente, ohne dass es didaktisch wirkt …


EDDIE'S HOT SHOTS:

THAT'S A SERIOUS THING ("Dance Orchestra", rec. 1929, Jack Teagarden, tb, voc, Eddie Condon, bj, Mezz Mezzrow, sax, cl, Joe Sullivan, p, u.a. His Masters Voice 78 rpm Schellack).

JACK TEAGARDEN AND HIS ORCHESTRA (1913-1984):

BLUE FUNK (Jack Teagarden, tb, Dick Cary, tp, Edmond Hall, cl, Walter Page, b, Ray Bauduc, dr., rec. 1954. Jazztone 17cm, 33 rpm).

NW: Das war natürlich beides mal Jack Teagarden, die erste Aufnahme um 1930. Interessant, dass man schon in den ganz alten Aufnahmen sein typisches Spiel und seine Stimme erkennt. Überhaupt genial bei grossen Instrumentalisten, die auch singen, wie die Art zu phrasieren, Linien zu spielen, mit Rhythmischem umzugehen, auf dem Instrument wie beim Gesang fast identisch sind. Bei der frühen Aufnahme hört man, obwohl sein Sound schon da ist, noch die alte Tradition und Einflüsse von Kid Ory, wo die Posaune noch eine mehr begleitende und rhythmische Funktion hatte, obwohl er schon hier begann, Linien zu spielen.


GERRY MULLIGAN QUARTET (1927-1969):

BARK FOR BARKSDALE ("Live Concert Salle Pleyel 1954", G. Mulligan, bs, Bob Brookmeyer, v-tb, Red Mitchell, b, Frank Isola, dr. Vogue-CD).

NW: … Gerry Mulligan mit Bob Brokmeyer, eine Platte, die auch im Plattenregal meines Vaters stand. Was mich bei Brookmeyer immer sehr begeistert hat, ist die Leichtigkeit seines Spiels, also Linien zu spielen wie eine Trompete, was auf der Zugposaune nicht möglich ist. Viele Posaunisten sind jedoch der Meinung, dass das wahre Instrument die Zugposaune ist; ihr Sound ist offener, kraftvoller, fetter und sie bietet mehr Möglichgkeiten, eigene Spiel- und Klangvorstellungen zu verwirklichen. Allerdings streben moderne Posaunisten und auch ich danach und stellen sich der Herausforderung, die Beschränkungen, die der Zug vorgibt, zu durchbrechen und zu versuchen, Linien wie ein Saxophonist usw. zu spielen.


JOHN COLTRANE SEXTET (1926-1967):

BLUE TRAIN ("Blue Train", rec. 1957, J. Coltrane, ts, Lee Morgan, tp, Curtis Fuller, tb, Kenny Drew, p, Paul Chambers, b, "Philly" Joe Jones, dr. Blue Note-CD).

NW: … von Coltranes Album "Blue Train" mit Curtis Fuller, einem meiner absoluten Lieblinsposaunisten. Ich schätze seinen phänomenalen Sound, die Coolness, Brillanz, Selbstverständlichkeit seines Spiels - er spielt zwei Noten und es groovt. Ich habe mich lange an seinem früheren dunklen Sound orientiert, ein Klangideal, auf dem ich sehr stehe.


JAY JAY JOHNSON QUINTET (1924-2001):

NOW'S THE TIME ("J.J. in Concert", rec. ca. 1958, J.J. Johnson, tb, Nat Adderley, tp, T. Flanagan, p, Wilbur Little, b, Albert Heath, dr. Fontana-45EP).

NW: Jay Jay live, ein Quintett mit Nat Adderley, eine Platte, die ich schon lange suche, die es aber nicht mehr gibt und die auch auf CD bisher nicht veröffentlich wurde -  seine absolut beste Zeit, wo alles da ist, brillanter Sound, rhythmisch stark, immer elegant über den ganzen Tonumfang - Aufnahmen, die ich tierisch oft gehört habe; alle Soli dieser Zeit sind Klassiker, ein genialer Musiker, der fast nicht nachzuahmen ist, an dem aber kein Posaunist vorbei kommt.


KARL AMADEUS HARTMANN (1905-1963):

FUGE III ("6. Symphonie für grosses Orchester", 1953, Auszug, rec. 1955, Rias Symphonie-Orchester, Ferenc Fricsay. DGG-LP).

NW: … dramatisch, sehr perkussiv, schnelle Stimmungswechsel, schätze Anfang der fünfziger Jahre; viele Elemente - die Art des Rhythmischen, der Melodiebildung – gehören inzwischen zur Standardsprache der improvisierten Musik. Zappa hätte daran sicher seine Freude gehabt.


VINKO GLOBOKAR (*1934):

CONSEQUENZA, CARLOS ROQUE-ALSINA,1967 ("Tonart 1", Auszug, rec. 1972, Kunsthaus ZH, V. Globokar Posaunenquintett der Hochschule für Musik Köln. SR-Direktübertragung).

NW: Das  war mit Sicherheit live … JA: Warum ? NW: Weil es nicht ganz perfekt war, denn Globokar ist ein extremer Perfektionist, der auch kleinste Ungenauigkeiten auf einer Veröffentlichung nicht zugelassen hätte. Das Stück ist sehr stark der Sequenza 5 von Berio nachempfunden, vom Aufbau her, von der Spieltechnik … Er spielte damals auch ein Stück, das Consequenza hiess … JA: Das hier war Consequenza, allerdings von Roque-Alsina ...  NW: … und ist inzwischen auch ein Klassiker, aufgenommen sicher Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre. Globokar ist einer der genialsten Posaunisten überhaupt, speziell in der Neuen Musik und Vieles von dem findet man, allerdings in anderer Art, schon bei den Posaunisten des alten Jazz – Plunger-Technik, grosse Dynamik, mit dem Instrument sprechen …


ANTHONY BRAXTON / GEORGE LEWIS (*1945 / *1952):

ORNITHOLOGY ("Elements of surprise", rec. live 1976 Moers, A. Braxton, reeds, G. Lewis, tb. Moers Music-LP).

GEORGE LEWIS / AKI TAKASE* (*1948):

VOYAGE FOR THREE ("Voyager", rec. Total Music Meeting 2001, G. Lewis, tb, A. Takase, p +  Voyager interactive computer pianist. FMP-CD).

NW: Ich bin sicher, dass das beide Male George Lewis ist. Er gehört zu einer ganz anderen Generation von Posaunisten als die vorher gehörten, aufgeklärt, unglaublich flexibel, der viel weiss und kann, Traditionelles aber auch sehr Feines mit schönem Ton spielen kann, jazzig, aber auch mit der Erfahrung, völlig frei zu spielen …, beim ersten Ausschnitt mit Braxton und Parkers "Ornithology", beim zweiten … - das ist nicht Irène Schweizer und auch nicht Marilyn Crispell sondern wahrscheinlich Aki Takase. Sein Approach ist, sich mit der ganzen Jazzgeschichte im Rücken auf verschiedensten stilistischen Ebenen zu bewegen und trotzdem sein eigenes, sofort erkennbares Ding zu machen. 


ALBAN BERG (1885-1935):

DREI ORCHESTERSTÜCKE OP. 6, 1914 ("Lucerne Festival 2003, Claudio Abbado: The Festival Edition", Stück Nr. 2, London Symohony Orchestra. DG-CD).

NW: Das ist ziemlich sicher Alban Berg. Was mich an seiner Musik so fasziniert, ist die Ballance zwischen Romantischem und Atonalem, was immer ganz leicht in eine andere Sphäre, ins Psychedelische abkippt. Ich wünschte, ich könnte so komponieren. 


NILS LANDGREN / ESBJÖRN SVENSSON (*1956 / *1964):

FREE NILS ("Swedish Folk Modern", rec. 1997, N. Landgren, tb, E. Svensson, p. ACT-CD).

NILS LANDGREN FUNK UNIT:

CANNONBALL ("Paint it Blue", rec. 1996, N. Landgren, tb, tp, E. Svensson, kb, A. Moreira. perc, Steffen Schorn, bcl, u.a. ACT-CD).  

NW: (sofort nach Beginn des 2. Stücks:) … jetzt ists klar, Nils Landgren. Sehr virtuos, sehr geschliffen, vom Posaunistischen her sehr beeindruckend, ein grosser Posaunist, vor dem ich viel Respekt habe. Stilistisch ist mir das alles aber irgendwie zu glatt, zu vorhersehbar, man hört, es kommt nicht aus voller Seele …,  es hat nichts, was mich sehr berührt.


PIERRE-LAURENT AIMARD (*1957):

STEVE REICH: MUSIC FOR PIECES OF WOOD ("Ligeti / Reich African Rhythms", rec. 2002,

P.-L- Aimard, p – playback, Aka Pygmies. Warner Teldec Classics-CD).

NW: Whow ! sehr beeindruckend, sehr schönes Stück, wahnsinnig, wie die Time-Ebenen sich immer wieder verändern - klingt wie eine afrikanische Perkussionsgruppe. Ist der Pianist auch der Komponist, nein …, dann ist es einer dieser Minimalkomponisten, wahrscheinlich Steve Reich. JA: Ja, es ist von der CD, auf der Pianist Pierre-Laurent Aimard Kompositionen von Ligeti und Reich der Musik der zentralafrikanischen Gruppe Aka Pygmies, gegenüberstellt, um deren Einflüsse auf die Komponisten zu unterstreichen. (NW will unbedingt auch ein Stück dieser Aka Pygmies hören). 


CONRAD BAUER / PETER KOWALD / GÜNTER SOMMER(*1943 / 1944-2002 / *1943):

PLAYING ("Between Heaven And Earth", rec. 2001, C. Bauer, tb, P. Kowald, b, G. Sommer, dr, perc. Intakt-CD):

NW: Ganz klar Conny Bauer, man erkennt ihn sofort an seinem Sound, seinen Linien und was er spielt ... Es ist sicher sein Trio mit Kowald und Sommer, obwohl ich die drei noch nie Time spielen hörte …


PIERRE BOULEZ (*1925):

SUR INCISES, 1996/98 ("Sur Incises", Auszug, rec. 1999, soloists of the Ensemble Intercontemporain, P. Boulez, Cond. DG-CD):

NW: Genial – whow ! – ist so wie viele frei improvisierende Gruppen gern klingen würden, aber hier dermassen auf den Punkt gebracht, dass das ganz klar nur komponiert sein kann. Das ist das, was ich an komponierter Musik in diesem Stil so liebe, phantasievoll und farbenreich, mit rhythmischen aber auch impulsiv und frei wirkenden Elementen, obwohl das Ganze so durchdacht ist; dazu kommt, dass es wahnsinnig gut gespielt ist; ist das ein eher jüngerer Komponist ?


ENSEMBLE MODERN PLAYS FRANK ZAPPA (1940-1993):

REVISED MUSIC FOR LOW BUDGET ORCHESTRA ("Greggery Peccary & Other Persuasions", Auszug, rec. 2002, Cond. Jonathan Stockhammer. RCA_BMG-CD).

NW: Das ist sicher Zappa mit dem Ensemble Modern. Uwe Dierksen, der Posaunist des Ensembles, hat mir gerade diese CD geschickt mit der Anfrage, ob ich nicht gelegentlich dort mitspielen könnte …


GÜNTER MÜLLER / TOMAS KORBER (*1954 / *1979):

PLATFORM DETAILS ("Construction Sonor", rec. 2003, G. Müller + T. Korber, electr. Pro Helvetia-2CD).

NW: Absolut faszinierend, sehr gekonnt gemacht! Was man mit Elektronik erreichen kann, geht in ganz andere Bereiche, als das mit akustischen Instrumenten möglich ist, es hat eine ganz andere Qualität, man kann es gar nicht vergleichen und auch kompositorisch ist das ein ganz anderer Ansatz. Melodik spielt keine Rolle, es gibt nur Klänge, Geräusche, Rhythmik … JA: Die Pro Helvetia hat für das Projekt "Construction Sonor" den Tonkünstler Bernd Schurer beauftragt, bei den Neat-Baustellen am Gotthard und Lötschberg eine Vielzahl unterschiedlichster Geräusche aufzunehmen. Dieses riesige Kaleidoskop von Fieldrecordings diente einer Reihe von Musikern und Elektronikern aus der Schweiz und umliegenden Ländern als Basismaterial und "Sample-Bibliothek", um damit zu arbeiten und eigene Tonwelten zu konstruieren. Dies hier waren der Zürcher Tomas Korber und der Basler Günter Müller.


CONRAD HERWIG QUINTET (*1959):

THE TESSERACT ("unseen universe", rec. 1999, C. Herwig, tb, A. Sipiagin, tp, flh, Seamus Blake, sax, Davis Kikoski, p, James Genus, b, Jeff "Tain" Watts, dr. Criss Cross-CD).

NW: (Nach den ersten Tönen des Solos:) O.k., ich weiss es - Conrad Herwig. Er war einer meiner Hauptlehrer in New York, bei dem ich sehr viel gelernt habe und der mich von Anfang an extrem fasziniert hat. Nach einer Weile hat es mir ein bisschen verleidet, weil er halt doch seit zehn Jahren in Bezug auf Melodik zwar eine eigene, aber dann doch immer gleiche Schiene mit immer den gleichen Phrasen fährt. Er ist bei seiner Pentatonik und den immer gleichen, eher konservativen Gedanken hängen geblieben, New York Modern Mainstream halt …  


GERRY HEMINGWAY QUARTET (*1955):

IF YOU LIKE / FULL OFF ("Devils Paradise", Auszüge, rec. 1999, G. Hemingway, dr, E. Eskelin, ts, Ray Anderson, tb, Mark Dresser, b. Cleen Feed-CD).

NW: Das ist glaube ich Hemingways Band mit Ray Anderson, ein typisches Hemingway-Stück, strukturiert, dann wieder mit Freiräumen, aber keine grosse Form. Sein vorangegangenes Quintett hat mir besser gefallen.


WOLFGANG RIHM (*1952):

BAR 142 – 189, 1995-2001 ("Jagden und Formen", rec. 2001, Ensemble Modern, Dominique MY. DG-CD).

NW: Hat mir sehr gefallen, ein Komponist, der hier stark von rhythmischer Musik geprägt ist und seine Fühler über die üblichen Grenzen Neuer Musik hinaus ausstreckt; ein bisschen Zappa ist auch drin. Interessant und faszinierend, wie sich heutige E-Musik-Komponisten extrem dem Rhythmischen öffnen.


DUO ERIKM & CHRISTIAN FENNESZ (*1970 / *1962):

KONZERT-AUSZUG ("Donaueschinger Musiktage 2003", erikm & C. Fennesz, laptop electronics. SWR-Sendung 2003).

NW: Interessant diese Art von Elektronik, die noch etwas beseelter ist … Die haben Kenntnis von all den Möglichkeiten aktueller elektronischer Musik ebenso wie von Stockhausen oder dem Dancefloor-Bereich. Höchst bemerkenswert, wenn die abstrakte Welt mit der kommerziellen zusammenkommt und die Ergebnisse trotzdem auch für erfahrene Musikerohren interessant klingen. 


 Nils, ganz herzlichen Dank, dass Du mitgemacht hast.



 

 © JAZZ 'N' MORE
Fotos: © Peewee Windmüller



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