Johannes Anders
Musik - Journalist

LISETTE SPINNLER

Von Johannes Anders

 Lisette SpinnlerLisette Spinnler (* 1976 Basel),  mit 10 Beginn klassischen Klavierunterrichts, mit 17 klassischer Gesang bei Beatrice Voellmy, 1999-2002 Studium an der Musikhochschule Basel bei Sandy Patton und Susanne Abbuehl. Gesangspädagogischer Abschluss 2002 mit Bravour. 1990 Off-Beat Jazzfestival Basel, Vorgruppe von Omara Portuondo (Buena Vista Social Club). 2000 Jazzfestival Zürich im Moods, 1. Preis Chrysler Award Nachwuchswettbewerb. 2001: Gewinnerin des Solistenpreises beim Montreux Off-Festival, Swiss Diagonal Tournee, Jazzclub Birds Eye Basel, Jazzclub Dampfzentrale Bern, Jazzkantine Luzern, Jazzclub A.M.R. Genf. 2002: Jazzfestival Bern, Mahogany Hall. 2003: Generations Internationales Jazztreffen Frauenfeld, Vorgruppe von Jane Monheit beim Off-Beat Jazzfestival Basel, 3 Wochen Deutschland Tournee, international Association of Schools of Jazz (IASJ) unter der Leitung von Dave Liebmann in Helsinki. 2004: CD-Taufe mit eigener TCB-CD beim Off-Beat Jazzfestival Basel, aufgenommen im Radio Studio DRS Zürich mit Peter Bürli und Martin Pearson, Gastsängerin bei Co-Jazz, Andy Scherrer, Peter Schmidlin, Stefan Kurmann, Domenic Landolf beim Generations Internationales Jazztreffen Frauenfeld, 4-wöchige Europa Tournee mit dem European Jazz Youth Orchestra, 2 Wochen Deutschland Tournee. Juni 2005: Mitwirkung bei CH-Tournee "Begegnungen" (Bulgarische Musik und "Alpenjazzfolklore") mit Theodosii Spassov, kaval, voc, comp und dem Kammerorchester Gabrovo mit Andi Marti, tb, Raphael Zehnder, sax, Christine Lauterburg, voc.


OUM KOULSSOUM (ca. 1902-1975):

Ausschnitt von ägyptischer MC.

LS: Das ist Musik, die ganz tief geht, es ist Kulturmusik, Volksmusik, magische Musik, es sind Geschichten dahinter, uralte Riten, und die schöpfen das von der Erde und diese Kraft spürt man, auch wenn man Text und Sprache nicht kennt. Aus diesem Grunde finde ich die Musik wunderschön. JA: Es ist die legendäre, charismatische ägyptische Sängerin Oum Koulssoum, die in der arabischen Welt auch heute noch grosse Begeisterung auslöst. 


M I S T Y (Erroll Garner):

1.)  DIANNE REEVES ("The Best Of Dianne Reeves", rec. 2000, Mulgrew Miller Trio. Blue Note-CD).

2.)  CARMEN MC RAE ("Sarah – decicated to you", rec. 1990, & Shirley Horn Trio. Novus-CD).

3.)  URSZULA DUDZIAK ("Midnight Rain", rec. 1976, Arista-LP).

4.)  SARAH VAUGHAN ("Sarah's Blues", rec. 1963, & Trio. JMY-CD).

5.)  ARETHA FRANKLIN ("Yeah!!! – In Person with her Quartet", rec. 1965. CBS-LP).

6.)  DAKOTA STATON ("The late, late show", rec. 60er Jahre. Capitol-LP).

7.)  SARAH VAUGHAN ("Ultimate Sarah Vaughan", rec. 1958, S. Vaughan, voc, Quincy Jones's Orch. Verve-CD).

Lisette SpinnlerLS:  Meine Favoriten sind ganz klar 1, 2 und 5. Version 1 ist Dianne Reeves. Diese Frau fasziniert mich einfach; sie hat eine unglaubliche Artikulation, man versteht jedes Wort. Sie strahlt eine grosse Ruhe aus, singt mit Herz und sehr überzeugend, ich nehme ihr jedes Wort ab und sie meint es auch so. Sie ist eine grosse Persönlichkeit mit ebensolcher Ausstrahlung, sehr menschlich, mit wunderbarer Stimme, eine Top-Version mit toller Band. Version 2 ist langsamer und wahrscheinlich ist es Carmen McRae, sehr ausdrucksstark, aber ihre Stimme gefällt mir im Sinn von Schönheit nicht immer. Sie hat eine andere, unglaublich eigene Ästhetik, etwas Kaputtes, Rauhes. Aber sie bringt es auf den Punkt, riskiert viel und bringt Emotionen stark zum Ausdruck. Manchmal klingt sie wie ein Mädchen, manchmal ist sie aggressiv. Und hervorragend das Zusammenspiel mit dem Trio, vor allem mit dem Piano, wie es sonst nur Shirley Horn macht. Aber sie kann doch hier nicht dabei sein … JA: Doch, sie ist es! LS: Es gibt keine andere Sängerin, die Balladen so spielt wie sie, wie ein ruhiges Gewässer, aus dem plötzlich ein Fisch springt … Die Sängerin in Version 3, eine Weisse, klingt sehr jung, eine ganz andere Version, weniger Jazz als Richtung Pop, mit Synthi …, ist für mich zuwenig erdig, ist feiner, europäischer – habe sie aber am Schluss doch noch gemocht. Version 4:  War das Sarah? Es ist eine Live-Aufnahme, die sich von Studioversionen immer unterscheidet - eine tolle Sängerin mit viel Vibrato, das oft kritisiert wird; aber sie hat eine unglaublich schöne Stimme und ein grosses Klangvolumen, mit Humor, Ironie, Tiefe. Es ging der Sängerin hier vermutlich sehr gut, sie ist happy; sie singt zwar vernebelt über die Liebe, die sie halb krank macht, aber sie macht das weniger dramatisch als witzig … Version 5 war sicher Aretha Franklin. Sie ist die Göttin des Soul, der schwarzen Stimme, und sie erzeugt bei mir jedes Mal Gänsehaut - so eine unglaublich schöne Stimmfarbe. Und sie ist die grosse Technikerin des Belt-Geanges, also der Bruststimme, die auch in höheren Lagen nicht wie üblich in den Bereich der Kopfstimme wechselt, wodurch der unerhört soulige Touch entsteht, immer knapp am Exzess vorbei, schwarz, schmutzig … Ich bin begeistert. Version 6: Das ist sicher nicht Björk, auch weil es eine ältere Aufnahme ist; aber es gibt ein paar Stellen, die mich wahnsinnig an Björk erinnern – sehr kindlich gesungen … Wer ist es - Dakota Staton – kenne ich nicht.


TRIO & SAINKHO:

BUDDHIST TEMPLE … ("Forgotten Streets of St. Petersburg", rec. 1998, Sainkho Namchylak, voc, Sergey Letov, reeds, Alexandr Alexandrov, bassoon, Yury Parfenov, tp, ah. Leo-CD).

LS: Das scheint keine reine Folklore zu sein, eher eine Mischung. Mit den jodelähnlichen Effekten erinnert es mich jedoch von der Technik her an Schweizer Volksgesang, aber auch an asiatische Musik. JA: Sie heisst Sainkho Namchylak, stammt aus der russischen Republik Tuva an der Grenze zwischen Sibirien und der Mongolei und fühlt sich, wie Du richtig gehört hast, als "Volkssängerin im Jazzbereich". Zu den Besonderheiten zählen ihr Obertongesang und mikrotonale Verschiebungen.


ELENA LEDDA:

FILUGNANA ("Sonos 'E Memoria", Film-Soundtrack, rec. 1996, Auszug, Paolo Fresu, ld, tp, E. Ledda, voc, Antonello Salis, acc, a.o. ACT-CD).  

Lisette SpinnlerLS: Diese Musik gefällt mir unglaublich gut, ist auch eine Mischung aus Jazz, viel Improvisation und Folkmusic und diese Sechsachtel-Feelings finde ich etwas Grandioses; das hört man ja in der afrikanischen Musik immer, bestehend aus diesen Sechsachteln mit den Vierer- und Dreier-Metren, die man darunter schlagen kann und ganz andere fills ergeben … – Polyrhythmik eben … JA: Sie heisst Elena Ledda und gilt seit längeren als wichtigste Sängerin Sardiniens.


SAADET TÜRKÖS:

CAY ELI ("Saadet Türköz", rec. 1998/99, S. Türköz, voc, Burjan Öçal, saz. Intakt-CD).

LS: Das ist eine bekannte Stimme, die ich schon gehört habe, eine schöne Musik, die etwas Tragisches, Trauriges aber auch eine gewisse Hoffnung hat. (Nach Bekanntgabe:)  Ich habe von ihr eine Soloplatte.


BJÖRK:

WHO IS IT ("Medulla", ca. 2001, Björk, voc. Universal-CD).

LS: (Nach den ersten Tönen) Das ist Björk, "s'isch eifach schön" … Sie ist eine mystische Person, was man auch in ihrer Stimme und Musik hört. Kleine Hexen, kleine Feen …, das lebt alles in ihr und kommt auch heraus, eine faszinierende Sängerin, die schöne Musik macht. Dies hier ist ein Superbeispiel, anderes gefällt mir weniger und ich bin manchmal etwas gespalten, weil es Musik ist, die nicht immer ins Herz geht. 


CASSANDRA WILSON:

MY SHIP ("Rendezvous", rec. 1997, C. Wilson, voc, Jacky Terrasson Trio. Blue Note-CD).

LS: Cassandra Wilson, wunderschön! Sie groovt und swingt unglaublich, hat eine ganz spezielle, ausdrucksstarke Stimme, mit der sie sehr in die Tiefe geht, mit einer Urstimme sozusagen mitten hinein in die Erde. (Früher, bei Steve Coleman, sang sie noch etwas mehr in die Höhe.) Mit viel Rhythmusgefühl und sicherem Sinn für Gegensätzlichkeiten legt sie zum Beispiel über schnelle Begleitungen ganz langsame, bedächtige Töne, sehr musikalisch. Ist das Jacky am Piano ?


A U T U M N   L E A V E S:

 

1.)  MICHEL PETRUCCIANI: AUTUMN LEAVES ("Estival Jazz Lugano 1988", Gary Peacock, b, Roy Haynes, dr. Aufn. RSI).

2.)  MURIEL ZOE ("Red and blue", rec. 2003, M. Zoe, voc & Ens. ACT-CD).

3.)  DIANE SCHUUR ("Swingin' For Schuur", rec. 2001, D. Schuur, voc, M. Ferguson Orch. Concord-CD).

4.) TIERNEY SUTTON ("Blue In Green", rec. 2000, T. Sutton, voc, Christian Jacob Trio. Telarc-CD).

5.)  OTHELLA DALLAS ("Little Girl From Memphis", rec. ca. 1995, O. Dallas, voc, Kirk Lightsey Quartet. Mons-CD).   

6.)  DEE DEE BRIDGEWATER ("Keeping Tradition", rec. 1992, D. Bridgewater, voc Thierry Eliez Trio. Verve-CD).

7.)  SARAH VAUGHAN ("Crazy And Mixed Up", rec. 1982, S. Vaughan, voc, Roland Hanna Quartet. PABLO-LP).

8.)  KEITH JARRETT ("The Complete Blue Note Recordings", rec. 1994, Auszug, Gary Peacock, b, Jack DeJohnette, dr. ECM-3CD).

Lisette SpinnlerLS: Dieses Pianotrio "drived" unglaublich, mit einem unerhört dicht spielenden Drummer -  Autumn Leaves in etwas schnellerem Medium Tempo … Wenn das Petrucciani ist …, ich kenne ihn seit langem, denn mein Vater hat ihn oft gehört - ein wunderbarer Pianist!. Bei den Sängerinnen fange mit der Version 4 an, das mir am besten gefallen hat: Diese Sängerin hat eine sehr grosse Stimmführung und sie hat sich offensichtlich stark auch mit Atmung beschäftigt. Dieses Stück im Up Tempo singt sie mit eindrücklicher Technik und einer riesengrossen Leichtigkeit. Die Einleitung wirkt sehr geheimnisvoll, erst später erkennt man, welches Stück es ist – ein spannendes Arrangement und eine sehr interessante Band. Autumn Leaves gilt ja eigentlich als ziemlich ausgelaugtes Lied aber hier haben die eine Topversion gemacht. Version 2 wirkt durch die Gitarrenbegleitung etwas statisch, ist aber als schöner Song konzipiert der berührt. Mit Version 3 kann ich nicht viel anfangen, mit Bigband und vielen Schnörkeln … Bei Version 5 kommt mir intonationsmässig irgendwie Betty Carter in den Sinn, obwohl sie es nicht ist; es ist eine alte Fassung, langsam, balladesk, die wie so oft bei diesem Stück in einen Bossa übergeht.  Dee Dee in Version 6  gefällt mir, ein sehr schönes Arrangement. Bezüglich Gesangstechnik bin ich nicht immer mit ihr einverstanden; ich finde, sie geht mit ihrer Stimme oft nicht sehr gesund um, aber das ist mein individueller Eindruck. Sie ist jedoch eine sehr energetische Frau, hat einen Riesengroove, ein grosses Musikverständnis und eine tolle Bühnenpräsenz. Sarah Vaughan in Version 7 - sie ist es doch? (schon wieder) - singt das Stück up tempo, schön frech und sehr unkonventionell.  Sie hat einen sehr grossen Stimmumfang und probiert wirklich, instrumentale Linien zu singen und zu scatten. Bei Jarrett war ich zuerst nicht 100%-ig sicher, denn der Sound ist hier härter als gewohnt, aber schliesslich waren seine das Spiel an spannenden Stellen begleitenden, typischen gutturalen Laute unverkennbar. Ein phantastisches Trio und Jarrett sowieso, der in unglaubliche Sphären "spaced" – und unverkennbar Jack DeJohnette.


1.)  JAMIE CULLUM:

      IT AIN'T … ("Magic Voices", rec. 2002, J. Cullum, voc, p, & b + dr. ACT-CD).

2.)  DAVID MOSS:

      THE GIRL FROM IPANEMA ("My Favorite Things", rec. 1990, D. Moss, voc. Intakt-CD).

3.)  BOBBY MC FERRIN:

      STREAM ("Vocal Summit", rec. 1982, B. McFerrin, voc-solo. Moers Music-LP).

Lisette SpinnlerLS: Ich komme gleich zu Beispiel 3, meinem grossen Favoriten: Bobby McFerrin ist einfach ein unglaublich interessanter Musiker, der sich von anderen durch sein wahnsinniges harmonisches Verständnis unterscheidet. Und obwohl das instrumentale Singen für einen Sänger schwierig ist, weil die Stimme eigentlich eine ganz andere, eigene Funktion hat, meistert er diese Herausforderung grandios. Er ist in jeder Hinsicht versiert, bezüglich Stimmtechnik und Stimmspektrum, Improvisation, Spannungsbögen aufbauen sowie soundmässig und kompositorisch. Ich habe grossen Respekt vor diesem in jedem Detail ausgereiften Musiker. Der Sänger in Beispiel 2 ist sehr interessant, mit unheimlich viel Witz; er verfügt über unglaubliche Möglichkeiten, die Stimme einzusetzen, was manchmal klingt, als ob Mehrere beteiligt sind. Beispiel 1: Der klingt wie eine Frau und ist sicher der junge Engländer, der eine zeitlang in den Charts war, mit einer sehr funkigen, souligen, groovig-schmutzig-schönen Stimme.  Bin gespannt, wie es mit ihm weitergeht.


TANIA MARIA:

YATRA – TÁ ("Piquant", rec. ca. 1980, T. Maria, voc, p, e grupo. Concord-LP).

LS: (Reagiert sofort und singt mit:) Tania Maria, gefällt mir sehr, hat etwas Freches, Lebendiges, Frisches, Verspielt-Kindliches – tolle Musik. Die Platte habe ich x-mal von hinten bis vorn gehört. Sie ist ja bei den Langnau Jazz Nights angesagt und ich bin gespannt, wie sie heute ist.   

Lisette, herzlichen Dank für Deinen Besuch.




 © JAZZ 'N' MORE Nr 5/2005
© Foto Nr. 1 Peewee Windmüller
© Fotos Nr 2-5 Lisette Spinnler

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