Johannes Anders
Musik - Journalist

BERNHARD BAMERT

Von Johannes Anders 

Bernhard BamertBernhard Bamert (Posaune, Bass-Posaune, Euphonium), 1970 in Wettingen geboren, beginnt 1980 in der Jugendmusik Spiez Posaune zu spielen. 1987-1993 Ausbildung zum Grafik Designer mit Abschluss. Workshops bei Ray Anderson und Vinnie Golia, Mitglied diverser Salsa-, Afro- und Free-Funk-Bands. 1994-1999 Ausbildung und Abschluss an der Berufsschule der Swiss Jazz School in Bern, Unterricht u.a. bei Robert Morgenthaler, Stanley Clarke, Dave Bargeron und Andy Scherrer. Mit Grand Mother’s Funck zahlreiche in- und ausländische Tourneen und Konzerte. Seit 2000 Mitglied im Zurich Jazz Orchestra, Martin Streule Jazz Orchestra, Kaspar Ewald’s Exorbitantes Kabinett, Joe Haider Jazz Orchestra, Dave Regan Jazz Orchestra, Willy Schnyder’s Jazzhorchester, Quintetto Illegale,  Mats Up, Swinging Europe 2000, Regula Haener’s My Dear Little Orchestra, Generations Big Band 2002, Herbie Kopf’s UFO, Adrian Frey Septet, Convergencia, Guinea Pig und Swiss Jazz Orchestra. Unterrichtstätigkeit u.a. an der Swiss Jazz School Bern und der Hochschule für Musik und Theater Zürich. "Das für mich gegenwärtig wichtigste Projekt", so Bamert, "ist die gemeinsame Band Tré mit Thomas Lüthi und Christian Niederer, für die ich Kompositionen schreibe und wo ich meine Ideen verwirklichen kann" ( "Tré – Fundamental Music", Jazzthing Next Generation Vol. 11, Double Moon/Challenge Records DMCHR 71050 / MV). 


STAN KENTON ORCHESTRA:

23 DEGREES NORTH … ("The Best of Stan Kenton", rec. 1952, arranged by Bill Russo, FRANK ROSOLINO, tb, Lee Konitz, as. Capitol/BlueNote-CD).

BB: Die Stan Kenton Band mit einem Arrangement von Bill Russo und der Posaunist war natürlich Frank Rosolino, ein grosser Liebling von mir; dabei war auch Lee Konitz. Es ist eine der ersten Aufnahmen, auf der man Rosolino hören konnte, wo er mit seiner ganzen Technik schon voll da war. Mich fasziniert bei ihm die präzise Phrasierung, die wie ausgestanzt wirkt, einerseits also extrem kontrolliert und trotzdem sehr "pushig" ist. 


JAY JAY JOHNSON Quartet:

BLUE TROMBONE ("Modern Jazz Trombone Master", rec. 1957. J.J. JOHNSON, tb, T. Flanagan, p, P. Chambers, b, M. Roach, dr. CBS-2LP).

BB: Das ist natürlich Jay Jay Johnson. Bei ihm fasziniert mich, wie er sozusagen das Posaunenspiel neu erfunden hat, was so 45,46 gewesen sein muss. Vorher orientierte er sich noch eher an Trummy Young. Plötzlich, bei Illinois Jacquet, hatte er dann sein kühl kalkuliertes Spiel, wobei aus heutiger Sicht unglaublich ist, wie man für ein Instrument ein so völlig anderes Vokabular entwickeln konnte, eine Spielweise, in der der expressionistische Charakter der vorangegangenen Spielweisen ebenso Platz hat wie sein späteres, präzis konzipiertes Spiel. Es gibt Aufnahmen von ihm, wo mal mehr das eine oder das andere dominiert. Hier hatte ich das Gefühl, dass beides zum Zug kam, wobei die traditionellen Bezüge fast einen ironischen Charakter hatten. Mich beeindrucken Künstler, die sich in beiden Welten ausdrücken können, die sozusagen im Zwiespalt sind, nie ganz zufrieden, die immer am Suchen sind. Jay Jay Johnson gehörte dazu. 


GERRY MULLIGAN QUARTET:

SPRING IS SPRUNG ("Gerry Mulligan Quartet Zurich 1962". Gerry Mulligan, p (!), BOB BROOKMEYER, vtb, B. Crow, b, G. Johnson, dr. TCB-CD).

BB: Was ich vorher über Jay Jay sagte, trifft hier noch deutlicher zu, hier das Konstruierte, dort dass Expressive. Ich kenne Bob Brookmeyer mehr von seinen endlosen, coolen Linien, die sich dann wie ein Wunder irgendwo auflösen. Hier versuchte er, das Geschehen mit "growligen" Effekten aufzulockern, was ich jedoch als etwas aufgesetzt empfand… JA: … das aber vermutlich mit der amüsanten Situation eines überraschend Piano spielenden Gerry Mulligan zutun hatte … BB: … was der jedoch sehr innovativ und spannend machte …


FRED FRITH:

TENSE SERENITY ("eleventh hour > Fred Frith", rec. 2003. Arditti String Trio, UWE DIERKSEN, tb. Winter&Winter-CD). 

BB: Ungewohnter Kontext, Posaune mit Streichern, super – auch wie das lautstärkemässig zusammengestimmt hat … Sehr beeindruckend auch die Linien mit dem Cello ….wunderbare Musik!. Der Spieler ist ein Posaunist der modernen Musik, der alles kann, einen schönen Ton hat …, erinnert mich an einen Posaunisten des Ensemble Modern – Uwe Dierksen …; die CD muss ich mir unbedingt kaufen.


ALBERT MANGELSDORFF SOLO:

INTRODUCING MARC SUETTERLYN ("Trombirds", rec. 1972. A.M., mehrstimmig / Trombone-Playback. MPS-LP).

BB: … hat mir ausserordentlich gefallen und war mit Mangelsdorff… - und der Trompeter war Don Cherry? JA: Jetzt muss ichs doch schnell sagen: Es war ein Mangelsdorff-Multiplay, also mit Playback und einzelnen Stimmen im Double Time, daher der Klang einer Trompetenstimme. BB: Was mich irritiert hat, waren tatsächlich die zwei Posaunen, die beide nach Mangelsdorff tönten. Spannend die sich überlagernden Textturen - und es hat unheimlich geswingt.


IGOR STRAVINSKY:

LE SACRE DU PRINTEMPS / 1912 ("Rhythm Is It !", rec. 2004, Auszug erste 8 Min. Berliner Philharmoniker, Leitg. Sir Simon Rattle. DG-BP-CD).

BB: War wahrscheinlich ein früherer Strawinsky – klar, mit diesen brachialen Sachen und den Melodiefetzen, die man glaubt zu kennen und die in anderen Zusammenhängen gegeneinander laufen. Mir gefällt das sehr, auch dieses wilde Aufbegehren gegen die Tradition – bin gerade erst dabei, mich in die klassische Moderne hineinzuhören ...


ART BLAKEY AND THE JAZZ MESSENGERS:

1.) FREE FOR ALL ("The Best of Art Blakey …", rec. 1961. CURTIS FULLER, tb. Blue Note-CD).

2.) THE HIGH PRIEST ("The Big Beat", rec. 1964, CURTIS FULLER, tb. Milestone-2LP).

3.) LOVER MAN ("I Get A Kick Out Of Bu", rec. 1998. ROBIN EUBANKS, tb. Soul Note-CD).

BB: Dreimal Art Blakey's Jazz Messengers, die ersten beiden Male mit Curtis Fuller, beim dritten mit Robin Eubanks, der auch einmal mein Vorbild war. Am besten erkennt man Posaunisten an den persönlichsten Dingen, am phrasing, an der Art wie die Zunge gebraucht wird …Bei 1 war die Band so am Kochen, das Curtis Fuller fast einen überforderten Eindruck machte und sich in schnelle Phrasenreihen flüchtete (BB artikuliert ein Beispiel) und es boten sich ihm auch nicht viel harmonische Möglichkeiten. Bei 2 hatte er etwas mehr Platz, konnte mehr Sachen machen. Er hat eine sehr gute Zungentechnik und war der erste, der mit weichem, luftigem Ton spielte. Schön hier auch seine rhythmische Arbeit. Auch Robin Eubanks spielt mit dem schönen, grossen Mellow Sound, der mit Curtis Fuller seinen Anfang nahm. Erstaunlich hier jedoch, dass er kleine Intonationsprobleme hatte – war wahrscheinlich eine spezielle Situation mit dem alternden Blakey und dazu wahrscheinlich noch ein Art ad-hoc-Gig. Das Posaunenspiel, also die Artikuation, ist ja mehr als bei anderen Instrumenten von der Tagesform abhängig … JA: … ist also wie die Stimme ein sehr menschliches Instrument … BB: Genau.


VINKO GLOBOKAR *1934:

1.) KOMMUNION ("Stockhausen: Aus den sieben Tagen", rec. 1969, Auszug. Impro-Ensemble mit Karlheinz Stockhausen, "Anonym" = V. GLOBOKAR, tb, M. Portal, J.-F. Jenny-Clark u.a. DG-LP).

2.) LA RONDE ("For Example - Workshop Freie Musik Berlin 1969-1978", rec. 1975. VINKO GLOBOKAR Brass Group, u.a. mit 11 Posaunen. FMP-4LP-Box).

BB: Sehr spannend bei 1, wie mit den Geräuschen umgegangen wird, wie die ganze Instrumentaltechnik dem Entstehen von Spannungsbögen und Geräuschebenen untergeordnet wird; da und dort glaubte ich, etwas Humor herauszuhören. Ähnlich auch bei 2, wo ich bei einzelnen Phrasen den gleichen Posaunist zu erkennen meinte, aber auch einige Holländer … JA: … Du hast recht, es war der gleiche Posaunist – übrigens Vinko Globokar, der ja für seinen Humor bekannt ist - und auch Holländer waren im 11-köpfigen Posaunenorchester. Übrigens: Wegen Meinungsverschiedenheiten mit Stockhausen hat Globokar sein Namen für die LP-Angaben zurückgezogen, deshalb die Bezeichnung "Anonym".


ROBIN EUBANKS SEXTET:

JJ ("4:JJ/Slide / Curtis and Al", rec. 1995. ROBIN EUBANKS, tb. TCB-CD).

BB: Noch einmal Robin Eubanks! Auch das scheint nicht sehr vorbereitet zu sein; mir gefällt jedoch die Frische und Relaxtheit, wobei Eubanks hier mehr am Rhytmischen interessiert ist und auch die schnellen, eher als Lückenfüller eingesetzten Achtellinien rhythmisch dominiert sind, also keine so eindeutig harmonische Rolle spielen wie etwa bei Nils Wogram.


BÉLA BARTÓK:

MUSIK FÜR SAITENINSTRUMENTE … / 1936 ("Resonanzen – Paul Sacher: Dirigent und Anreger", rec. 1985, Auszug, 2. Satz. SWF Sinfonieorchester, Leitg. Paul Sacher. Musiques Suisses-4CD-Box.)

BB: Müsste Bartok gewesen sein. Ich mag ihn sehr, ist ein Universum, in das ich mich langsam hineinbewege, ist eine so reichhaltige Musik, in der wie bei Strawinsky das Rhythmische eine sehr grosse Rolle spielt. Interessant, dass man diese Musik auch mit dem Bauch hören kann. Ich kenne einzelne Klavierstücke, aber als ich sein "Konzert für Orchester" hörte, ist mir das eingefahren wie Parker und Jay Jay Johnson beim ersten Mal. Es ist eine sehr differenzierte Musik, die sich nicht nur durch Abstraktion von der Tradition abheben will, sondern ebenso durch ganz einfache Melodien, beispielsweise aus Rumänien, was sich durch sein ganzes Werk zieht – er war ja auch Musikethnologe. Es ist eine spannende Musik, die mich immer wieder fasziniert.  


"ANT STEPS ON AN ELEPHANT'S TOE" (A. MANGELSDORFF):

1.) ALBERT MANGELSDORFF / JACO PASTORIUS / ALPHONSE MOUZON ("Trilogue – Live !", rec. 1976. MPS-LP).

2.) ALBERT MANGELSDORFF ("Solo Now", rec. 1976. MPS-LP).

3.) UNDERCARL: "ALBERT" ("jazzessence", rec. 1997. Sebastian Gramms "Undercarl" mit NILS WOGRAM, tb. TCB-CD).

BB: Mangelsdorff mit Mouzon und Pastorius, ein absoluter Meilenstein der Posaunengeschichte und auch deshalb so speziell, weil er nie selbst auf die Idee gekommen wäre, mit diesen Musikern zusammenzuarbeiten, sie stammte, glaub ich, von Joachim Ernst Berendt. Was ich an Mangelsdorff so bewundere, ist die völlige Relaxtheit bei allem, was passiert, auch wenn er plötzlich einen so verrückten Jazzrock-Drummer wie Mouzon hinter sich hat; er macht einfach sein Zeug, wodurch die Band wirkt, als würden sie seit Jahren zusammenarbeiten. Und es klingt nicht im Geringsten abgestanden und nichts deutet darauf hin, dass die Aufnahme bereits in den siebziger Jahre entstanden ist. Sein Konzept, mit diesen speziellen Phrasen aus der Tonart rauszugehen, ist absolut modern, ein unglaublich inspirierter Typ! Das Gleiche gilt auch für 2. Er ist auch hier total relaxt, nimmt sich Zeit und atmet die Stille ein, die dazwischen liegt; alles ist integriert, auch das Einatmen klingt ästhetisch, man spürt, er erfindet ständig neu, ohne einfach drauflos zu spielen … JA: … wofür der Begriff  "instant composing" besonders treffend wäre … BB: … ja – und ich könnte ihm stundenlang zuhören … 3 war Nils Wogram mit "Undercarl", wobei man merkt, dass sie die Mangelsdorff-Mouzon-Platte kannten und ebenso "geil" fanden wie wir jetzt. Dieser Vergleich ist auch deshalb interessant, weil man bei allem in Wograms Spiel spürt, was ihm Mangelsdorff bedeutete … JA: … ohne, dass er je ein Mangelsdorff-Adept war … BB: … keinesfalls.  


IANNIS XENAKIS (1922.2001):

TROORKH / 1991 ("Anastenaria, Troorkh, Ais", rec. 2000, Auszug. Sinfonieorch. des Bayer. Rundfunks, Leitg. Peter Rundel, MIKE SVOBODA, tb. DLF 7/2005 bzw. col legno-CD).

BB: Sehr spannend, ein Posaunist mit unglaublicher Technik, der auch in den höchsten Höhen noch einen klaren und schönen Ton hat – könnte Mike Svoboda gewesen sein … Sehr eindrücklich auch die Klangtexturen, etwa, wie der ganze Streicherapparat die Posaunenlinien mitverfolgt …


GROOVE COLLECTIVE: 

DFU ("People People Music Music", rec. ca. 2006. Sextet Groove Collective,  guest FRANK WESLEY, tb. BHM-CD).

BB: (… amüsiert sich) …gefällt mir sehr gut, ist eine Welt, in der ich mich sehr zuhause fühle, habe ja 10 Jahre in einer Funk-Band gespielt. Auch den Posaunisten fand ich sehr gut, hat viel Dreck im Spiel, ist nicht so gepflegt wie etwa Nils Landgren. Und dann das Repetitive – und es groovt perfekt! Wer ists – Fred Wesley – hätte ich eigentlich erkennen müssen, ein Fauxpas, ist ja der wichtigste Funker.

 

Herzlichen Dank, Bernhard, für Deinen Besuch.

 

Der nächste ANDERS HÖREN-Gast wird der Walliser Trompeter, Bandleader und ZKB-Jazzpreisgewinner 2006, Manuel Mengis sein.


 

© JAZZ 'N' MORE Nr.4/2006
© Fotos: Peewee Windmüller



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