Johannes Anders
Musik - Journalist

VERA KAPPELER

Text und Fotos: Johannes Anders

Vera KappelerVera Kappeler (* 1974 Basel) absolvierte am Konservatorium Winterthur ein Klavier-Studium mit Lehrdiplom-Abschluss. Weiteren Unterricht nahm sie an der Jazzschule Basel bei Hans Feigenwinter in Jazz-Improvisation. 2008 erhielt sie den Förderpreis der Stadt Winterthur und den ZKB Jazzpreis. Mit dem Vera Kappeler Trio (zusammen mit Simon Gerber, Bass/Dobro, und Lionel Friedli, Schlagzeug) und dem 2009 veröffentlichten Album "Nach Slingia" zog sie die Aufmerksamkeit von Kritikern wie Publikum auf sich. Sie trat an renommierten Festivals auf (u.a. Willisau, Cully, Stanser Musiktage mit Jürg Halter [Kutti MC], Schaffhauser Jazzfestival, Langnau Jazz Nights) und war letztes Jahr Artist-in-Residence im Zürcher Club Moods. Vom weiten musikalischen Horizont der experimentierfreudigen Pianistin und Harmoniumspielerin zeugen ihre vielseitigen Projekte: Im Duo mit Schlagzeuger Peter Conradin Zumthor spielt sie präpariertes Klavier und in “O hett i Flügel“ improvisiert sie auf einem alten, verstimmten Klavier über Lieder von Paul-Burkhard (Selection DRS 2 Kulturclub). Als Bandmitglied kann man sie in Felix Profos’ „Forcemajeure“, Christoph Irnigers „Pilgrim“, „Los Dos Hermanos y su Orchestar Wild West“, „grünes Blatt“, im Trio „Werwolf Sutra“ und in Marianne Racines „Tuliaisia“ hören. Von „Tuliaisia“ erschien soeben auch die 2. CD.  Neben weiteren Projekten unterrichtet Vera Kappeler Klavier an der Musikhochschule Luzern und an der Musikschule Prova in  Winterthur. Von der SUISA-Stiftung für Musik wurde Vera Kappeler mit dem Jazzpreis 2011 ausgezeichnet.

BRAD MEHLDAU (*1970):
SONG - SONG - Mehldau (“Songs“, rec. 1998. B. Mehldau, p, Larry Grenadier, b, Jorge Rossi, dr. Warner-CD).
VK: Finde ich schön. Zuerst dachte ich, das könnte ein Intro zu einem  Standard oder Volkslied sein, dann merkt man, dass sich dieses Intro zum eigentlichen Stück entwickelt, mit diesem Repetitiven, den Schlaufen und Akkorden, die sich immer wiederholen. Diese Art Irreführung ist eigentlich noch schön, dass er bei dem bleibt und daraus etwas macht. (Nach Mitteilung:) Was, das ist Brad Mehldau, sehr interessant, hätte ich nicht gedacht. Ist das das Trio mit Grenadier und Rossi? JA: Ja, eine ältere Aufnahme von 1998.

KARL AMADEUS HARTMANN (1905-1963):
4.SINFONIE FÜR STREICHORCHESTER, 3. Satz Adagio appassionato - 1948 (”Karl Amadeus Hartmann – Funèbre“, rec. 1999. Münchner Kammerorchester, Leitg. Christoph Poppen. ECM New Series-CD).
VK: Sehr schön und eindringlich, wunderbare Streicher, seltsame Musik… Nach dem Beginn mit diesen punktuellen Bassnoten kommt plötzlich dieses elegische Thema…; stilistisch kann ich das nicht richtig  zuordnen, könnte eine dramatische Bühnenmusik sein…

LENNIE TRISTANO (1919-1978):
AIR POCKET - Perdido (“tristano“, rec. 1947. L. Tristano, p, Billy Bauer, g, John Levy, b. Savoy 45 EP).
VK: Lennie Tristano!, habe ihn gleich erkannt, obwohl es eine alte Aufnahme ist. Er war ein wichtiges Vorbild für mich, war ein linearer Meister, auch mit den Bach-Einflüssen, einer, der nicht auf die Black-Welle,  sondern einen Kontrapunkt dazu setzte, was ich natürlich nicht rassistisch meine. Auf der Soloplatte „The New Tristano“ ist unglaublich, wie er swingt, wie er laid-back spielt, mit toller Phrasierung und wie er die Akkorde herumshiftet. - An der Gitarre ist Billy Bauer ? Tristano komponierte oft Stücke über Harmonien bekannter Standards. Was ist es hier? JA: Es ist „Perdido“.  

GYÖRGY LIGETI (1923-2006):
ETUDE NO. 10 “Der Zauberlehrling” - 1994 (“Pierre-Laurent Aimard at Carnegie Hall”, rec. 2001. Pierre-Laurent Aimard, piano. Teldec Classic  s-CD).
VK: Wow ! Sehr interessant, und auch seltsame Musik, aber toll. Zuerst dachte ich, das ist so wie ich gern improvisieren würde oder das manchmal versuche, mit so wilden, schnellen, flirrenden Klangwolken und drüber Haltetöne oder eine Melodie, sodass man wie zwei Ebenen hat, wobei ich mich frage, ist das improvisiert oder alles ausnotiert…JA: … ist alles ausnotiert. VK: Es hat auch impressionistische Ansätze, ist aber sicher neuer wie etwa vielleicht Wolfgang Rihm, der sich auch auf Retrosachen bezieht… - aber toll gespielt, könnte auch Ligeti sein…JA: Er ist es und ich habe das gespielt, weil Du mal seine Etüden erwähnt hast. VK: Die Ligeti-Etüden sind für mich schon wichtig, weil die mich oft zum Improvisieren angeregt haben. Ich dachte aber, Ligeti sei viel konsequenter, nicht so bunt wie hier. JA: Unter den 17 Etüden gibt es natürlich auch freiere, abstrakter wirkende.   

Vera KappelerCECIL TAYLOR (*1929):
PART 4 (“The Willisau Concert“, rec. 2000. C. Taylor, piano. Intakt-CD).
VK: Das ist sicher etwas Improvisiertes, eine Mischung aus verschiedenen Stilen und Welten, sehr irritierend. Das könnte vielleicht Cecil Taylor sein. Er hat ja verschiedene auch klassische Einflüsse,.. und plötzlich kommt so ein kleines Fensterchen mit Jazzharmonischem, das er dann aber sofort wieder verlässt… JA: Ich war damals in Willisau dabei und war fasziniert von seinem selten so gehörten, überraschend grossen Spiel- und Stilspektrum.

TEODORA STEPANČIĆ (*1982), MARTIN LORENZ (*1974):
O1 (“Signs - Shapes”, rec. 2008. T. Stepančić, piano, M. Lorenz, turntables. Dumpf-Edition-CD ).
JA: Ist dir die serbische Komponistin, Pianistin, Performerin und Improvisatorin Teodora Stepančić ein Begriff? Sie spielte, wie hier, kürzlich mit dem Zürcher Perkussionisten, Elektroniker und Turntabler Martin Lorenz auch beim Zürcher Improvisationsfestival „Zwei Tage Zeit“. VK: Zuerst dachte ich, es könnte Benoît Delbecq sein, weil der auch zusammen mit einem Schlagzeuger mit Elektronik und Verfremdung des Klavierklangs gearbeitet hat; als dann aber die Gitarre und die Streicher dazukamen, war ich sicher, dass das nicht er war. Ich finde es immer etwas heikel, wenn mit offensichtlichen Effekten gearbeitet wird, aber hier mit den eingefügten Geräuschen einer zerkratzten Platte…, den Effekt finde ich ziemlich toll, auch weil es mit diesen Plattenspieler-Stops einen Beat, einen Puls gibt, das  ist faszinierend. Mit der Zeit wird’s dann halt schwieirig, dass es sich wirklich gut mischt, mit dem Akustischen, dem natürlich Gespielten und den Loops, was irgendwann offensichtlich und für mich dann auch heikel wird - jedoch interessant. Aber das Klavier und wie sie sich Zeit lässt, mit den langen Tönen, das gefällt mir sehr.  

MIKROTONALE KLAVIERE
1.) ABDALLAH CHAHINE (1894-1974): Introduction, Maqam Bayat: Taqsim “Hinayyina“, rec. 1974, Libanon. A. Chahine, piano in arabischer Stimmung. Privat-CD.
VK: Das finde ich sehr toll und es kommt dem Klavier zugute, dass man es so stimmt, denn der Klavierklang ist ja eher hart und kalt und wenn es so gestimmt wird, bekommt es etwas Runderes, Wärmeres, Lebendigeres, der Stimme Näheres.
2.) GEORG FRIEDRICH HAAS (*1953): limited approximations - concerto for 6 pianos in 12-tone tuning and orchestra - 2010. “Donaueschinger Musiktage 2010“. SWR Sinfonieorchester, Leitg. Sylvain Cambreling. NEOS 4CD).
JA: Das sind sechs Pianos mit Orchester, die Pianos in Zwölftelton-Stimmung… VK: Wow… was ich sehr toll finde ist, wie sich diese Klaviere mit den Streichern mischen, denn oft vermisst man das, weil das Klavier so starr ist in seiner Stimmung und oft ein bisschen etwas Abgetrenntes hat und hier mischt es sich eben wegen dieser Zwölfteltöne und bekommt fast eine Art Glockengeläutcharakter. Und was auch gut ist, dass er nicht etwas Methodisches, keine Studie macht, sondern ein Stück wie es auch mit normalen Klavieren wäre.
3.) WERNER GRIMMEL (*1952): Moderato, verspielt. “The Carillo 1/16 Tone Piano“, rec. 2003. Dominik Blum, p. Zeitklang-CD).
JA: Eigentlich gehört hier auch der Schweizer Komponist Edu Haubensack rein, ich wollte diese Beispiele aber nicht überfrachten. Inspiriert zu diesen Beispielen wurde ich durch Deine Paul Burkhard-DRS2-Kulturclub-CD auf dem schön verstimmten alten Kasten im Studio. VK: Das freut mich. Ein bisschen suche ich das natürlich auch, dieses anders Gestimmte. JA: Das dritte Beispiel ist jetzt mit einem Sechzehntelton-Piano, einem sogeanntem Carillo-1/16-Piano. VK: Das hat etwas Wässriges, weil die Übergänge zwischen den Tönen so nahe sind, etwas Fliessendes entsteht. Wer war hier jetzt der Komponist? JA: Er heisst Werner Grimmel und ist ein 1952 geborener deutscher Komponist. Am Klavier übrigens der bekannte Interpret Neuer Musik vor allem aber bekannt als Mitglied des Avant Core-Trios Steamboat Switzerland, Dominik Blum… VK: …, ja wirklich! - so schön, ist ein guter Kumpel von mir - super.

THELONIOUS MONK (1917-1982):
RUBY, MY DEAR - Monk (“Thelonious Monk – genius of modern music“, rec. 1947. T. Monk, p, Gene Ramey, b, Art Blakey, dr. Blue Note 25cm-LP).
VK: (Nach den ersten Tönen) Monk ! Für mich sind Monk und Ellington die Wichtigsten, Monk zum Beispiel ist so zeitlos, weil er das Lied , das Thema ins Zentrum stellt und wenn er improvisiert, ist das immer präsent, was das Thema noch stärker macht und das gibt für mich dem Thema mehr Sinn… JA: … obwohl das ja eigentlich alle klassischen Jazzmusiker machen … VK: … ja das stimmt, aber bei ihm ist es halt trotzdem modern, weil er diese Themenbezogenheit besonders ausprägt - und auch als Komponist ist er sehr schlau, wie er mit Motivik spielt, mit Sperrigem, Reduziertem, Grobem und auch mit Spielwitz, wie er mit minimalem Material sehr orginelle Stücke macht.     

Vera KappelerBIX BEIDERBECKE (1903-1931):
IN A MIST – BIXOLOGY (“Bix Beiderbecke“, rec. 1927. B. Beiderbecke, p. Columbia 45 EP).
VK:  Schönes Stridepiano und noch viel mehr; die Aufnahme klingt sehr alt, aber mit zum Teil kühner Harmonik…Auch das kann ich nicht klar einordnen. JA: … ist von 1927 und das einzige Klavierstück, dass es von diesem Trompeter gibt. Er heisst Bix Beiderbecke.. VK. …der hat das gespielt ?! Natürlich kenne ich ihn, aber dass er auch Klavier gespielt hat … toll, wow, ein Tausendsassa.! 

Zweimal MORTON FELDMAN (1926-1987):
1.) COPTIC LIGHT - 1985/86 (“Anton Bruckner - Morton Feldman“, rec. 1997. SWR Sinfonierorchester, Leitg: Michael Gielen. hänssler Classic-CD ).
VK: Das könnte „Coptic Light“ von Feldman sein, ein wichtiges Werk während meines Studiums, lange nicht mehr gehört - super. JA: Hörte mal einem Vortrag über das Stück, das mit seinen Mustern wie ein anatolischer Teppich gebaut ist…VK: …wollte ich gerade sagen, eine Inspiration für Feldman, mit dem Repetitiven, den leichten Änderungen und doch nicht stereotyp…
2.) INTERMISSION – 1952 (“Piano“, rec. 1989. Marianne Schroeder, piano. hat ART-CD).
VK: Auch das ist von der Klangwelt her Feldman, auch das plötzlich Laute, obwohl ich mit Feldman eher Gleichförmigeres, Leises verbinde. Sehr schön. Das ist Musik, wo der Nachklang oder das Nachhallen gerade so wichtig ist wie die Anfangsklänge, was ich für Klaviermusik so wichtig finde, weil die Schwingungen, wenn man denen nicht Raum gibt, oft nicht wahrgenommen werden, das Klavier dann etwas Kaltes, Totes bekommt. Es gefällt mir enorm, dass Feldman dem Platz gibt.     

HERBIE NICHOLS (1919-1963):
AMOEBA’S DANCE (“The Prophetic Herbie Nichols“, rec. 1955. H. Nichols, p, Al McKibbon, b, Art Blakey, dr.  Blue Note 25cm-LP).
VK: Ist das Herbie Nichols ? Sehr spezieller Pianist … JA: … ist immer noch ein Geheimtipp… VK: … weil er vielleicht weniger zugänglich ist als Monk, zum Teil auch schwierig, weshalb er wohl manchmal untergeht, wie auch Tristano, der zwar bekannter, aber manchmal auch zu schwierig ist. Nichols’ Musik wird auch nicht viel gespielt, weil sie auch nicht einfach nachzuspielen ist, ist eigentlich Kunstmusik, aber doch absolut im Jazzkontext. Vielleicht hat er aber doch in gewisser Weise Vorbildfunktion, zum Beispiel für Geri Allen…

KEITH JARRETT (*1945):
PARTS VII-XV, No. 6 (“Rio”, rec. 2011. K. Jarrett, p. ECM-2CD).
VK: Manchmal klingt das wie Keith Jarrett… JA: Du hast recht, er ist es, seine neueste Solo-Edition, letztes Jahr in Rio aufgenommen. VK: Das ist wirklich eine Klasse für sich, wo man sich fragen kann, ist das komponiert oder improvisiert. Man merkt dann irgendwann schon, dass es improvisiert ist, aber es gibt kaum jemanden, der das so kann, dass es klingt wie ein vollendetes Stück. Und die langen Bögen, viele  Überraschungen, die du in keinem komponierten Stück findest. JA: Er selbst sprach von diesem Rio-Konzert auch von einer Sternstunde. VK: Es wirkt auch sehr befreit von allen Schubladen und man hört, dass er sich mit Schostakovich, mit Bach, mit der klassischen Musik auseinandergesetzt hat - und sein königlicher Klang…

CRAIG TABORN (*1979):
GLOSSOLALIA / THE BROAD DAY KING -Taborn (”Avenging Angel”, rec. 2010. C. Taborn, p. ECM-CD).
VK: Das fällt mir bei den moderneren Jazzpianisten immer wieder auf, dass ich mich frage, ist das komponiert oder nicht, ist das Ligeti oder Nancarrow?... Hast Du mir noch ein zweites Stück… Unheimlich viele Eindrücke, die es schwer machen, dazu etwas Definitives zu sagen. Es ist mir irgendwie noch ein bisschen fremd, aber ich weiss nicht, woran das liegt, es klingt jedenfalls sehr inspiriert von komponierter, zeitgenösssicher Musik. JA: Ich sag Dir jetzt, wer es ist und ich bin gespannt, ob Du den Namen kennst… VK: Ja natürlich kenne ich den, habe ihn eigentlich sehr gern, kenne ihn vor allem als Sideman von Tim Berne. Aber seine Solomusik  - absolut genial, grossartig, aber für mich trotzdem irgendwie befremdlich, werde nicht richtig warm damit.

GYÖRGY KURTÁG (*1926):
LIGATURA - MESSAGE TO FRANCES-MARIE, op. 31b -1989 (”Musik für Streichinstrumente”, rec. 1995. Keller Quartett, G. Kurtág, Celesta. ECM New Series-CD).
VK: Das erste Langsame hat mir sehr gut gefallen, das Choralartige, Stetige mit diesen Reibungen in den Klängen und dann doch immer wieder Auflösungen - sehr schön. Was war das für ein Instrument, das dann noch dazu kam?  JA: … war eine Celesta… VK: …oh, das lieb ich… JA: … vom Komponisten selbst gespielt… VK: … könnte Kurtág gewesen sein.

Vera KappelerKATHARINA WEBER (*1958):
1.) RUNDGESANG – Schumann. 2.) HOMMAGE À HANNY BRUNNER-POHL - Kurtág. 3.) SHEHERAZADE  - Schumann. 4.) HOMMAGE À BERÉNYI FERENC 70 - Kurtág. (“Robert Schumann - György Kurtág: Mit inniger Empfindung“, rec. 2010. K. Weber, piano. CUBUS-CD).
VK: Zu 1: Ist ein Stück im Volkston, mit romantischen Anteilen, könnte Schumann sein. JA: Es ist Schumann aus dem Zweiten Teil des “Album für die Jugend - Für Erwachsenere“. VK: Zu 2: Da würde ich jetzt gern mehr hören, das ist sehr speziell. Es hatte Sachen drin, da dachte ich, das könnte Kurtág sein, sehr interessant, da müsste man mehr hören… JA: Hier sind noch zwei Stücke, die nun direkt miteinander in Beziehung gestellt sind. VK: Zu 3: Das ist Sheherazade von Schumann. Zu 4: Hat mir sehr gefallen, auch weil es so schlicht ist und stimmungsvoll. Das ist eine CD, die ich mir mal zuhause in aller Ruhe anhören muss. JA: Sehr interessant das Konzept der Pianistin - es ist Katharina Weber -, Stücke von Schumann mit Kompositionen von György Kurtág aus der Reihe „“Játékok“ (Spiele) in einer Art inspirierendem Dialog miteinander zu verbinden. Katharina Weber wird übrigens beim nächsten Schaffhauser Jazzfestival zusammen mit Barry Guy und Balts Nill Stücke von Kurtág diesmal Jazzimprovisationen gegenüberstellen. Auch wird mit diesem Vorhaben auf Intakt eine CD erscheinen. (Ergänzung: Ist  bereits erschienen, siehe Hörbar in diesem Magazin.)

Vera KappelerGOLGBERG VARIATIONEN BWV 988 / GOLDBERG VARIATIO 20 / J. S. BACH (1685-1750):
1.) GLENN GOULD (1932-1982): „The Historic 1955 Debut Recordings“. G. Gould, piano. Sony Classical-CD. 2.) ANDRÁS SCHIFF (*1953): “J.S. Bach - Goldberg Variations”, rec. 2001. A.Schiff, piano. ECM New Series-CD.
3.) TEODORO ANZELLOTTI (“J.S. Bach - Goldberg Variations”, rec. 2000. T. Anzellotti, accordion. Winter & Winter-CD.
VK: Das erste - affenschnell gespielt - war sicher Glenn Gould; ich finds schon etwas zu schnell, aber es ist doch leicht und souverän, gefällt mir fast noch besser, als die Zweite, die zwar in schönem Tempo war, aber weniger leicht, hatte aber eine interessante Rhythmisierung. Es ist entweder eine Gigue, aus einer Partita oder aus den Goldberg Variationen, die ich nicht so gut kenne. (Zu 3): Wenn man mal von den Bach-Puristen absieht, ich finde es geht schon mit dem Akkordeon, was mich zum Teil sogar an Orgel erinnert und wenn das einer so gut spielen kann, ist es halt etwas ganz Eigenes.   

FATS WALLER (1904-1943):
I’M CRAZY ’BOUT MY BABY („Fats Waller And His Rhythm – Honeysuckle Rose“, rec. 1927. F. Waller, p, voc. Sanctuary-CD).
VK: Das ist Waller - schön, super! Ein wahnsinniger Pianist, vor allem in Kombination mit seinem Gesang - das Wilde, das Sprudelnde, aber auch das Lyrische, hat auch das Liebliche drin…; bin ja ein Fan alter Musicals und auch diese Art Entertainment macht er grossartig.  Und dass er sich selber begleitet, ist auch eine Qualität, in der alles zusammenwächst.

CHARLES MINGUS (1922-1979):
MYSELF WHEN I AM REAL (“Mingus Plays Piano“, rec. 1963. C. Mingus, p. Impulse-LP).
VK: Das gefällt mir sehr gut und auch die Aufnahme ist sehr schön, sehr emotional, sehr zupackend, zuweilen fast etwas mit Flamenco- und Orient-Einflüssen und überraschende Wendungen. JA: Es ist die einzige, mir bekannte  Pianosoloaufnahme von Charles Mingus… VK: Unglaublich schön, dachte teilweise kurz an Jaki Byard, eine tolle Entdeckung. Die Aufnahmen muss ich  haben. (Ergänzung: Sind vor einiger Zeit auf CD  erschienen.)

BUD POWELL (1924-1966): 
OVER THE RAINBOW - Harburg, Arlen (“the amazing bud powell“, rec. 1951. B. Powell, p. Blue Note-25cm-LP).
VK: Over the rainbow mit Art Tatum? JA: Nein, aber er bezieht sich auf dieser alten Aufnahme auf ihn. VK: Dem Sound nach könnte es auch Bud Powell sein, auch das Explosive, Wilde, das Leidenschaftliche.

THE MOOCHE - DUKE ELLINGTON (1889-1974)
1.) Duke Ellington And His Orchestra: „Hot In Harlem“, rec. 1928. Coral-LP).
2.) Misha Mengelberg (*1935): “No Idea“, “rec. 1996. M. Mengelberg, p, Greg Cohen, b, Joey Baron, dr. DIW-CD).
VK: Das Stück kenne ich nicht, aber es ist Duke Ellington mit seinem Orchester. Diese Bläser und wahnsinnig sind auch die Klarinettisten eingesetzt. (Zu 2:) Eine recht gute Umsetzung im Trio, sicher nicht einfach, einem  derartig grandiosen Orchesterstück eine Form zu geben, das Schleppende…, der Gestus von Ellington ist drin und doch ist es etwas Eigenes.

Vera KappelerMONIKA ZETTERLUND (1937-2005) & BILL EVANS:
JAG WET EN DEJLIG ROSA - Trad., Arr. Bill Evans (“Waltz For Debby“, rec. 1964. B. Evans, p, Chuck Israels, b, Larry Bunker, dr. Philips-LP).
VK: Klingt wie Bill Evans. Marianne Racine und ich haben dieses Lied auch mal in einem Konzert gespielt, ein sehr bekanntes schwedisches Volkslied. Vor allem die langsamen Passagen gefallen mir sehr, von der Band sehr schlicht gespielt - und die Sängerin mit dem heiseren, nicht sehr typischen Volksgesang macht das sehr eigen und speziell. Der Jazzteil hier ist nicht so mein Ding und ich frag mich, wieso. JA: Es ist aber Bill Evans! VK: Ja dann, ich dachte, die machen einen auf Bill Evans..; dass er es aber wirklich ist, ist für mich sehr beeindruckend, klingt wie eine moderne Aufnahme und die Sängerin wirkt extrem toll, wunderschön, zeitlos.

JOSEPH HAYDN (1732-1809):
SONATE C-DUR, HOB. XVI / 35, - 1780, 1. Satz (“Lucerne Festival Piano“ 2002.  Fazil Say, *1970 Ankara, piano. DRS 2).
VK: (Lacht) Eine Haydn-Sonate aus der Zeit des Hammerklaviers - ist eine sehr farbige Aufnahme, wo sehr viel aus dem Stück rausgeholt wird - sehr souverän und engagiert gespielt, sehr differenziert. Haydn ist ja ein sehr orgineller Komponist, der mit der Motivik umgeht wie vielleicht auch ein Monk, der mit wenigen Motiven sehr viel machen kann. Man kann das einfach so spielen, leicht, und braucht nichts zelebrieren, was mir hier manchmal ein kleines bisschen gemacht wird. Aber Haydn lässt einem ja auch die Freiheit und man darf ihn verschieden spielen.

MOSE ALLISON (*1927):
FOOLKILLER - Allison (“The World From Mose“, rec.1964. M. Allison, p, voc, Ben Tucker, b, Ron Lundberg, dr. Atlantic-LP).
VK: Gefällt mir, eine Art alter Funk oder Folk - ich weiss nicht wie man dem sagt - soulig und temperamentvoll, und der Sänger ist dann wie das Gegenteil, so schön cool und laid-back…

LOUIS ARMSTRONG (1901-1971) & EARL HINES (1903-1983):
WEATHER BIRD - King Oliver („“Louis Armstrong & Earl Hines“, rec.1928. L. Armstrong, tp, E. Hines, p. Philips-LP).
VK: Ich finde Louis einfach super und so erfrischend und ich glaub, heute spielt niemand mehr so Trompete, er spielt so direkt und trotzdem hat er einen schönen Ton. JA: … und der Pianist? VK: James P. Johnson? JA: Nein, es ist Earl Hines.

Vera KappelerDUKE ELLINGTON / CHARLES MINGUS / MAX ROACH (1924-2007):
SWITCH BLADE („Money Jungle“, rec. 1962. D. Ellington, p, C. Mingus, b, M. Roach, dr. Blue Note-CD).
VK: (Lacht) …ist aus „Money Jungle“. Mit dieser Platte habe ich eigentlich Ellington als Pianisten entdeckt, weil mich Big Band nicht so interessierte. Diese Aufnahmen sind ja sehr umstritten, die einen finden das überschätzt, für die anderen ist das das Grösste. Es ist aber definitiv ein Meilenstein und auch interessant zu hören, was passiert, wenn drei Musikerpersönlichkeiten aufeinander treffen und es ist ja nicht selbstverständlich, dass das funktioniert. Manchmal spürt man allerdings, dass sich Mingus und Duke etwas in die quere kommen - eigentlich klar bei derart grossen und eigenwilligen Charakteren, was ja auch neue Spannungen ergibt und das Ganze so exklusiv macht - und obwohl die Musiker von der Jazztradition kommen, ist es trotzdem sehr wild und roh und frei und explosiv und eigentlich sehr modern, für mich moderner als manches aus den letzten zwanzig Jahren. Das bluesige, rituelle Sprudeln bringt es auf den Punkt. 

BJÖRK (*1965):
FOUR (“Medulla“, rec.2001. Björk, voc, and the Icelandic Choir. Sabam-CD).
VK: Björk! Die Aufnahmen kenne ich, eine ihrer ersten Aufnahme, wo sie noch vielmehr isländisch Jazz gesungen hat. Sie ist für mich schon eine wichtige Figur, ihre Melodik vor allem spricht mir sehr aus der Seele, aus dem Herzen, diese Hymnische, Elegische nimmt mich sehr ein, gleich welchen Hintergrund sie wählt .

ALBERT AYLER (1936-1970):
UNTITLED BLUES (“ Holy Ghost“, rec.1968. A. Ayler, ts, & Group. Revenant-9CD).
VK: Das ist Ayler!; das Stück kannte ich nicht, auch nicht, dass er Blues spielt, seltsam, untypisch, aber unverkennbar, er schreit ja, fast wie ein Tier, und ist trotzdem so beseelt. Kannte bis jetzt nur seine “Greenwich Village“-Aufnahmen.

Vera, danke für Deinen Besuch bei mir.

© JAZZ 'N' MORE Nr. 2 / 2012 / Nr. 3 / 2012
Fotos © Johannes Anders

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