Johannes Anders
Musik - Journalist

„E L E C T R I C   S U F I“   

 Interview  mit   D H A F E R   Y O U S S E F

 Von Johannes Anders

Der 1967 in Tunesien geborene Dhafer Youssef, Komponist, Sänger und Oud-Spieler, begann schon als Kind im Ensemble seines Vaters zu singen und in dieser Zeit entwickelte sich auch seine musikalische Verwurzelung in der islamischen Mystik und Sufi-Tradition. 1960 emigrierte er nach Wien und begann unter Schwierigkeiten und sozusagen aus dem Nichts, seine Laufbahn als Musiker aufzubauen. Seine Gesänge sind von grosser Dichte und Ausdruckskraft und verschmelzen mit der stilistisch freien, unorthodoxen Musik seiner Ensembles zu einem hochexpressiven Ganzen, wie man es zum Beispiel beim letztjährigen Jazz Festival Willisau unter die Haut gehend erleben konnte. Dhafer Youssefs Zürcher Auftritt, der am 10. November direkt im Anschluss an das Konzert des Maria Schneider Jazz Orchestra im kleinen Tonhallesaal über die Bühne geht, wird wie das Schneider-Konzert anlässlich des beachtlichen Jubiläums „30 Years Of ENJA Records“ veranstaltet, der damals von Horst Weber und Matthias Winckelmann gegründeten, engagierten Münchner Plattenproduktion.

Jazz ‚N‘ More: Viele Kritiker und selbsternannte Musikethnologen haben die Tendenz, zuerst einmal alles negativ zu sehen, was in  Richtung kulturübergreifend geht. Sie sprechen dann ganz schnell von Multikulti-Mix, von auf Breitenwirkung angelegtem Crossover, von exotischen Effekten, konturlosen Fusion-Varianten usw. Wie würdest du die Bedeutung, die musikalische Gültigkeit und die künstlerische Relevanz Deiner Musik beschreiben. Was möchtest du damit ausdrücken, was erreichen?

Dhafer Youssef: Sehr gute Frage. Was andere von meiner Musik halten, ist deren Sache und nicht mein Problem. Sie haben die Freiheit, das so zu sehen wie sie es sehen. Und ich glaube, jeder Mensch hört den selben Ton anders, als sein Nachbar ein, zwei Meter neben ihm. Mir ist wichtig, dass ich mich selbst mit meiner Musik ausdrücken kann. Ich bin nicht dazu da, zu zeigen, wie in Tunesien, irgendwo in Indien oder im vierten Bezirk von Wien musiziert wird. Darum geht es mir  nicht, sondern vielmehr darum, meine eigene Geschichte zu erzählen, für die ich eigentlich selbst auf der Suche bin. Ich will nicht zu diesen Crossover-Geschichten dazugehören, zu diesen sogenannten Weltmusik- und Ethnojazz-Tendenzen usw. Aber ich respektiere, dass Leute solche Bezeichnungen brauchen, um Musiker in eine bestimmte Schublade zu tun, damit sie was damit anfangen können. Ich bin ganz weit weg von solchen Dingen. Mir ist wichtig, das ich meine kleine Geschichte mit verschiedenen Musikern erzählen kann, von denen ich überzeugt bin, dass sie die richtigen dafür sind, von denen ich lernen und mit denen ich mich weiterentwickeln kann und das nicht nur durch den Couscous-Topf.

In Deiner Musik sind aber doch verschiedene kulturelle Einflüsse spürbar?

Aber das bin trotzdem ich, wie jeder von uns; es ist meine Erfahrung, meine Sehnsucht, meine Passion. Ich mache das nicht wirklich bewusst, sondern, weil ich das so empfinde. Ich spiele beispielsweise mit einem indischen Bansuri-Spieler nicht deshalb, weil ich unbedingt indische Musik drin haben will sondern, weil mir das Instrument nahegeht, weil ich es so stark in meinem Bauch spüre, dass ich Gänsehaut kriege. Ich spüre diese indische Flöte mehr, als die arabische, persische, türkische oder die lateinamerikanische. Mir schmeckt Sushi besser als Hamburger. Wenn ich jetzt mit Mino Cinelu spiele, dann nicht, weil er der weltbekannte Perkussionist ist, der mal mit Miles oder Sting gespielt hat, sondern, weil ich von ihm musikalisch profitieren, er meine Musik weiterbringen kann. Ich möchte mich mit verschiedenen Mitteln artikulieren können, egal ob das nun Jazz, klassische Musik, Avantgarde, elektronische Musik ist oder was auch immer.

Was waren die Auslöser für Deinen musikalischen Weg ? 

Ich wollte schon als Kind immer etwas anderes erleben, etwas Neues entdecken. Ich habe immer gewusst, ich gehöre nicht nur hierher in meine Geburtsstadt Teboulba oder nach Tunesien; die ganze Welt sollte meine Heimat sein. Das war mir ganz wichtig und ich wusste immer, dass auch die anderen Farben, Geräusche, Töne, Klänge die meinen sind. Ich arbeite zum Beispiel darum viel mit Jazzmusikern zusammen, weil sie sehr flexibel und total offen für meine Sachen sind. Ich bin kein Jazzer, kein traditioneller Musiker und auch kein Modernist, sondern einer, der sich immer überraschen lassen will, der offen ist. Musik höre ich nicht, um sie zu kritisieren oder darüber zu urteilen, sondern um herauszufinden, was sie mit mir tut, ob und wie sie mich anspricht, was sie mir geben kann.

Auf welcher Basis geschah das alles, wie sah deine musikalische Kindheit aus, welche Ausbildung hattest Du?

Ich bin ein hundertprozentiger Autodidakt. Entwickelt hat sich alles beim Singen in der Koran-Schule und beim Kennenlenen islamischer Gesänge. Das war die wichtigste Zeit meiner Kindheit. Aber bereits in der Schule wollte ich andere Musik machen. Ein Nachbar lieh mir damals eine Plastikgitarre mit zwei Saiten, auf der ich experimentierte und alles Mögliche ausprobierte, das ich nachts im Radio hörte, ohne zu wissen, um was für Musik es sich handelte. Dieses Interesse, verschiedenste Musiken zu hören, aber auch, sie unkonventionell zu behandelt, sie zu verfremden, ist mir bis heute geblieben. Musik ist wichtiger, als es ein Lehrer je sein kann.

Wie ist Deine heutige Beziehung zu traditonellen tunesischen oder ganz allgemein arabischen Musik und welchen Stellenwert hat sie überhaupt in der arabischen Welt? 

Musik spielt im arabischen Raum keine grosse Rolle, höchstens bei Hochzeiten und Festen usw., ausgenommen die Sufi-Musik. Und Musiker sind nicht wirklich respektiert, es sei denn, sie sind ein Star. Für religiöse Araber ist Musik vielerorts noch immer des Teufels, verleitet dazu, Gott zu vergessen und zu sündigen. Ich selbst mag zwar arabische Musik in bestimmtem Rahmen, höre sie aber nicht mehr oft und sie ist für mich auch keine grosse Einflussquelle. Ich habe auch keine grosse Lust, diese mit anderen Musiken zu fusionieren, wie das so viele heute machen,  obwohl ich derartige Versuche respektiere. Für mich ist sie aus anderen Gründen nicht wichtig denn ich sehe mich auch ganz woanders: ich bin ich und gehöre weder meinen Eltern noch irgendeiner Tradition oder Musikrichtung und ich sehe meine Aufgabe auch nicht darin, mich darin zu verlieren und tanzbare arabische Musikvarianten zu machen.

Im Zusammenhang mit Deiner Musik ist immer wieder von traditioneller islamischer Sufi-Musik die Rede. Welche Rolle spielt sie wirklich in deiner Musik? 

Von der Sufi-Tradition habe ich eigentlich nur die in meinem Gesang vorhandene Mystik. Aber wie ich wirklich bin und denke, das ist mehr als das, da bin ich unabhängig und in einer modernen Welt, obwohl die Mystik immer da ist wie eine Mutter. Wie alle diejenigen, die improvisierte, experimentelle, kreative Musik, die Jazz machen, sind wir eigentlich Suchende, auch die Grossen, und wir können bei dieser Suche auch versagen. Aber dieses Versagen ist ganz wichtig, um die Suche weiterzubringen. 

Warum hast du Tunesien verlassen und wieso gingst Du gerade nach Wien?

Ich wollte aus Tunesien raus um möglichst viel von der Musik kennenzulernen, die ich als Kind soviel im Radio gehört hatte. Und Österreich war damals das einzige Land, in das ich ohne Visum reinkam. Aber dieser erste Kontakt mit Europa war ein Schock für mich. Im Gegensatz zu Afrika war vieles, vor allem auch die Musik, Kopf bezogen, intellektuell, und ich musste zuerst lernen, damit umzugehen. Ich kam nach Wien mit 150 Dollar in der Tasche und kannte keinen Menschen. Ich hielt mich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, schrieb mich an der Uni ein, um deutsch zu lernen und erst nach und nach lernte ich Musiker kennen, konnte in Bands mitspielen, bis ich schliesslich eine erste eigene Band auf die Beine stellen und bei ENJA meine erste CD herausbringen konnte.

Wie entstehen die Musikerbetzungen für Deine CDs?  

Die Musiker wähle ich selber; Mathias Winckelmann, der Produzent von ENJA Records, lässt mir dabei freie Hand und redet mir nicht drein - ein wirklicher Glücksfall für mich. Ich weiss aber auch genau, was ich will und was ich nicht will. Kürzlich konnte ich mit „Electric Sufi“ meine zweite ENJA-Produktion herausbringen.

Wieso der Titel „Electric Sufi“, könnte das nicht von orthodoxen islamischen Kreisen als Sakrileg empfunden werden?

Es geht hier um mein Interesse und meine Erfahrungen mit der elektronischen Welt, nicht unbedingt die mit freier Elektronik, sondern ich mag auch hier das Melodische, möchte eine Geschichte hören. Die Idee von „Electric Sufi“ ist, den Leuten zu zeigen, dass sie, ohne sich dessen bewusst zu sein, eigentlich mit Elektronik aufgewachsen sind. In den Minaretten der Moscheen sind beispielsweise vier Megaphone eingebaut, aber niemand sieht sie. Unten steht der Muezzin mit einem Mikrophon, drückt auf den Knopf und beginnt zu Singen und zum Gebet aufzurufen. Das klingt dann so schräg und verzerrt wie mit einem Pedal, als ob Jimi Hendrix zum Gebet ruft. Viele Leute wollen nicht wahrhaben, dass das keine Naturstimme mehr ist. Eigentlich tut es weh, diese scheppernden Lautsprecherstimmen zu hören. Aber die Leute haben sich daran gewöhnt. Ich will ihnen aber zeigen, dass man mit Elektronik auch andere, besser klingende Sachen machen kann.

Welche Beziehung hat Dein Gesangsstil zur tunesischen oder arabischen Musik und welches sind die Textinhalte?

Ich komme zwar aus der Tradition, singe aber nicht traditionell; ich habe keine Regel und singe auf meine ganz eigene Art. Hauptsache dabei ist, dass es homogen ist, dass es gut und richtig klingt, dass es zur Musik passt, zur Improvisation passt, zur Atmosphäre passt, zum Thema passt, man damit etwas anfangen kann und vor allem, dass es zu mir passt. Texte singe ich fast nicht und wenn dann irgendwelche Wortimprovisationen. Auf der „Electric Sufi“-CD gibt es aber das Stück „Al-Hallaj“, was sich auf den gleichnamigen, grossen, orientalischen Sufi-Meister aus dem 9./10. Jahrhundert bezieht. Ich singe eine kurze Strophe aus einem Poem von ihm, mit dem ich seinen grausamen Tod beschreibe, wie sie ihn gekreuzigt, ihm alle Gliedmassen abgetrennt und ihn schliesslich verbrannt haben. Für mich ist dieser weise Kosmopolit, der viele Länder bereiste, genau so wichtig wie Jesus.    

Amnesty International prangert immer wieder auch Tunesien an, spricht von Repressionen und staatlicher Folter, obwohl es als Ferienland gilt und auch von Schweizern rege besucht wird. Möchtest Du dazu etwas sagen?  

Als ich vor einiger Zeit wieder einmal meine Familie und meine Freundin in Tunesien besuchen wollte und das trotzdem riskierte, obwohl ich wusste, dass ich im Polizeicomputer registriert war, wurde ich am Flughafen in Tunis verhaftet und zwei Tage lang verhört. Es waren sehr beunruhigende Tage in der kleinen Zelle, weil ich nicht wusste, ob man mich ein, zwei oder viele Tage festhalten würde oder Schlimmeres mit mir vorhatte. Man liess mich schliesslich im Hinblick darauf laufen, dass ich inzwischen so bekannt bin, dass irgendwelche Vorkommnisse in jedem Fall an die Öffentlichkeit dringen würden. Allerdings gab man mir zu verstehen, dass ich das als gravierende Warnung aufzufassen hätte, mich nicht mehr öffentlich über tunesische Verhältnisse zu äussern. Grund für die Verhaftung war ein Interview mit dem ORF (Österreichischer Rundfunk), in dem ich über den tunesischen Präsidenten sprach. Die Menschen in Tunesien sind glücklich, wenn sie einen Job und zu Essen haben. Für mehr dürfen sie sich jedoch nicht interessieren, nicht für Kultur und Gesellschaft und erst recht nicht für die politischen Verhältnisse. Ich bin jedoch nicht bereit, das zu vergessen.

Dhafer Youssef, herzlichen Dank für das Interview und gutes Gelingen für Deine zukünftigen Projekte sowie die vielen weiteren Auftritte.



© JAZZ 'N' MORE 5/2001
© Fotos Peewee Windmüller + PD



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