Johannes Anders
Musik - Journalist

Free-Jazzer als Komponisten

Donaueschinger Musiktage 2001:

Das gab es in der langen Geschichte dieser Musiktage noch nie: Die Präsentation von gleich drei Vertretern des Freejazz bzw. der frei improvisierten Musik, und das nicht etwa in der jeweils hier stattfindenden SWR-Jazz-Session, sondern im Rahmen der traditionell der komponierten Neuen Musik vorbehaltenen Konzerte.

Alle drei widmeten sich in ganz verschiedener Art und mit unterschiedlichen Ergebnissen dem Metier des Komponierens für Sinfonieorchester oder Kammerensemble, was jedoch nicht bedeutete, improvisatorische Sequenzen oder Komplexe konsequent auszuklammern. Das die Musiktage eröffnende „Konzerts für Klavier, Orchester und Electronics“ des österreichischen Keyboard-, Electronic- und Free-Music-Spezialisten Wolfgang Mitterer - ein Kompositionsauftrag des SWR, uraufgeführt vom grossen SWR-Sinfonieorchester unter Johannes Kaltzke, mit dem virtuos wie vital agierenden Pianisten Thomas Larcher und dem renommierten Experimentalstudio der Heinrich-Strobel-Stiftung des SWR -  bot zum Beispiel im Rahmen einer den Gesamtablauf strukturierenden Spielpartitur ein weites Feld von dialogisierenden, improvisatorischen Möglichkeiten des live-elektronisch verfremdeten Klaviers mit dem Orchester, sowie den computergesteuerten Acht-Kanal-Bandzuspielungen. Das war spannende, klangintensive, ereignisreiche Musik. Eher enttäuschend weil ereignisarm das Kammerstück „Polis, Wachs und Pomade“ für Streicher, Bläser und Stimme des ehemaligen schwedischen Free-Jazz-Drum-Exzentrikers Sven-?ke Johannson, und das, obwohl mit dem Trompeter Axel Dörner und dem Posaunenprofi Radu Malfatti zwei echte Jazzsolisten mitwirkten.

Energetische, aggressive Actions mit elektronischen, zuweilen höchst phonstarken Klanggewittern steuerte der in Berlin lebende Berner Schlagzeuger Michael Wertmüller mit seiner SWR-Auftragskomposition “Die Zeit. Eine Gebrauchsanweisung“ bei. Jeder der 15 Spieler hatte anstatt der üblichen Notenblätter einen Computer, der die Spielanweisungen für die kompliziert strukturierten und variierten Rhythmen und Einzelstimmen der Spieler vermittelte und koordinierte, beeindruckend interpretiert vom Kammerensemble Berlin mit diversen Gästen, darunter „unserem“ Hardcore-Gitarristen Stephan Wittwer!

Breites Echo für Renaud Garcia-Fons
Bei der traditionellen SWR-Jazz-Session stellte der beim letzten Jazz Festival Willisau gefeierte Bassvirtuose und Bandleader Renaud Garcia-Fons mit grossem Ensemble sein neues Suitenwerk „Navigatore“ vor, das wie seine Oriental-Bass-Projekte eine mitreissend konzipierte, kaleidoskopische Synthese meditarraner Musiken von Spanien über Nordafrika bis zum Balkan präsentierte. Für einmal erschien nicht nur das jeweils zahlreiche, begeisterungsfähige Jazz-Publikum, es kamen ausnahmsweise auch viele Hörer der sonst gegenüber dem Jazz eher dünkelhaften E-Musik-Zunft, die diesmal beeindruckt sitzen blieben anstatt wie so oft den Ort des Geschehens eher oder später fluchtartig zu verlassen. Ein in  dieser Breitenwirkung unerwarteter und damit leider seltener Erfolg der SWR-Jazz-Session. (www.swr.de/donaueschingen)  

Johannes Anders


© JAZZ 'N' MORE - 6/2001
©Foto: Hans Kumpf



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