Johannes Anders
Musik - Journalist

Glühende Kraftfelder - weite Horizonte

Simon Nabatov: Solopiano-Rezital in Winterthur

Dass die Konzerte des Veranstalterteams "Jazz in Winterthur" fast ausnahmslos herausragende Ereignisse sind, wie sie kaum an anderen Orten in dieser Regelmässigkeit stattfinden, weiss man seit vielen Jahren. Nicht verwunderlich und dennoch immer wieder überraschend, wenn diese aktuelle und weitsichtige, nach rein musikalischen Kriterien konzipierte Programmgestaltung nicht nur Highlights, sondern gelegentlich wahre Sternstunden ermöglicht, wie sie auch anderswo im gewohnten Konzertbetrieb nur selten stattfinden. Zu einem dieser vom ersten bis zum letzten Ton wunderbaren, begeisternden und einem nahegehenden Musikabende wurde das Solokonzert des grandiosen russischen Pianisten Simon Nabatov. Beidhändige Virtuosität, ein souveräner Umgang mit kontrapunktischen Linien und mehrstimmigen Geflechten, mit donnernden Akkordballungen und zuckenden Melodiefragmenten, mit unter die Haut gehenden, melodisch intensiven Balladen, mit Romantik und Expressionismus, mit halsbrecherischen, explosiven Exkursionen über die gesamte Klaviatur, vom dramatischen Donnergrollen in den tiefsten Lagen bis zu kristallinen, silbrig hellen oder beissend scharfen Figuren im höchsten Diskant...; das alles benutzt dieser phänomenale Pianist und geniale Improvisator nicht, um die Zuhörer mit vordergründigen Technik- und Kraftparcours zu verblüffen, sondern er setzt all dies souverän und mit höchstem Ideenreichtum als eine riesige Palette von Gestaltungsmitteln ein, um sein unglaubliches Phantasiepotential in wie logisch wirkende Strukturen und formale Abläufe einzubinden. Aber damit noch nicht genug: Faszinierend vielfältig und charakterisiert durch einen weiten Horizont, ist auch sein musikalisches Ausgangsmaterial, mit dem er atemberaubend und wie selbstverständlich spielt, und das fernab jeglicher kaleidoskopartiger Effekthaschereien oder exotischer Anspielungen.

Von Barock über Freejazz bis zu Bossa Nova

Da improvisiert er ein langes Stück von barocker Leichtigkeit und polyphoner Dichte, inszeniert er abstrakte Energiefelder mit Clusterkaskaden und aggressiv aufblitzenden Motivkürzeln, die wenn überhaupt, dann nur ganz entfernt an Cecil Taylor erinnern mögen. Oder er widmet sich mit dem Raga-artigen Stück "Mallari" der klassischen, karnatischen Musik Südindiens. Und dann sein aufregender Umgang mit Monk-Kompositionen wie "Skippy" oder "Pannonica" oder mit "Time Remembered" von Bill Evans, mit langen, präludienartigen, perlenden Einleitungen und in den Durchführungen mit ausgedehnten, fast bis zur Unkenntlichkeit verfremdenden Exkursionen in weite, improvisatorische Räume, um schliesslich klar und konsequent wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren. Aber auch brasilianische Melodik und Rhythmik mit ihrer typischen "Balancado"-Charakteristik hat er im Griff, als ob er dort geboren wäre und nie etwas anders gespielt hätte, was dem beeindruckenden Programmablauf mit Antonio Carlos Jobims berühmten "Aguas de Marco" oder "Chega de Saudade" ("No More Blues") weitere Glanzlichter aufsetzte. Mein Eindruck: Ein mitreissender Solo-Klavierabend mit einem nie zuvor gehörten, improvisatorischen Gestaltungsreichtum und Farbenspektrum !. Wann wird dieser Wunderpianist endlich in grösserem Rahmen vorgestellt ? 

Johannes Anders

 

© JAZZ 'N' MORE -3/2001



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