Johannes Anders
Musik - Journalist

Inspiriert, spontan, expressiv:
Keith Jarretts Solokonzert im KKL 

Keith Jarrett ist ein Improvisator, der das Risiko nicht scheut, sich stets auf die kreativen Kräfte des Augenblicks zu verlassen, wobei er nicht bei Routinesequenzen Zuflucht sucht, wenn  der Ideenfluss mal ins Stocken zu geraten droht. Das macht seine Soloauftritte so spannend, inspirierend und auch sympathisch.  

Von Johannes Anders

Eigentlich war sein Konzert in diesem berühmten, wunderbaren Saal für unverstärktes Musizieren schon lange fällig, aber bekanntlich ist es sehr schwer, Keith Jarrett für ein Konzert zu gewinnen, vom für einen weltberühmten Künstler selbstverständlich hohen Honorar ganz abgesehen, denn er plant seine Auftritte nur sehr zurückhaltend und wird in Europa neben dem Auftritt in Venedig und einigen Trio-Konzerten im Herbst in diesem Jahr nur noch in Paris zwei Solokonzerte geben. Die Direktorin des KKL, Elisabeth Dalucas, die ihre neue Reihe "Director's Choice" letzten Herbst mit einem Solokonzert Irène Schweizers eröffnet hatte***, verbunden mit einer Live-Übertragung von SR DRS 2 und der feierlichen Premiere des Irène Schweizer-Portraitfilms von Gitta Gsell, war sich des besonderen Ereignisses bewusst, als sie den Anlass mit einer kurzen Ansprache eröffnete. Was einige Kritiker dabei als Zumutung empfanden aber völlig berechtigt war, betraf ihre Bitte, im Hinblick auf die Tonaufnahmen von Martin Pearson sowie einen ungestörten Konzertablauf, Husten und Räuspern möglichst zu vermeiden. Wenn man daran denkt, wie sich auch bei klanglich diffizilen klassischen Konzerten Besucher in dieser Hinsicht rücksichtslos verhalten und beim manchmal unvermeidlichen Husten nicht einmal die Hand oder ein Taschentuch vor den Mund halten - was bei der hervorragenden Akustik im grossen Saal natürlich besonders störend zur Geltung kommt - wünscht man sich, dass bei E-Musik-Anlässen neben der obligaten Lautsprecher-Bitte für das Abschalten der Handys auch ein derartiger Hinweis durchgegeben wird.   

Mitreissende Kreativität 

Und dann betrat Keith Jarrett gemessenen Schrittes das Podium des ausverkauften KKL und begann zuerst einmal, während rund einer Viertelstunde mit an- und abschwellendem, vielschichtig arpeggierendem Präludieren, in dem auch Balladeskes hineingewoben war, sein persönliches musikalisches Augenblicksterrain zu sondieren. Was sich daran anschloss, waren einige beeindruckend vielgestaltige, kürzere Instant-Composing-Stücke, in denen er auf faszinierende Weise sein weites Gestaltungsspektrum von folkartigen, liedhaft-lyrischen, romantischen Songs bis zu impressionistisch abstrakten Spontankreationen zum Ausdruck brachte.

Nach dem rund 45-minutigen ersten Teil gab es nach der Pause einen mehr als eine Stunde dauernden zweiten Konzertteil, auch das eine Besonderheit bei Jarrett-Solokonzerten. Wie zu Beginn des Konzerts begann er auch hier wieder mit rhapsodisch vielfältig ausufernden, dichten Akkord- und Arpeggioballungen, die er dann aber dramaturgisch so zielgerichtet in melodisch und rhythmisch phantasievolle, einem unter die Haut gehende Abläufe verwandelte, dass dieser Teil zum eigentlichen Höhepunkt des ganzen Abends wurde und damit wieder einmal auf eindringliche Weise deutlich wurde, über welch universelles, gestalterisch-pianistisches Potential dieser geniale Pianist verfügt. Das Verarbeiten von Ravel-Anklängen war da gelegentlich ebenso spürbar wie beispielsweise das reflexartige, kurze Aufscheinen von Typischem etwas aus Etüden von György Ligeti. Übrigens: wiederum kamen die Berichterstatter nicht umhin, genüsslich Jarretts bekannten körperlichen wie auch geräuschhaften Einsatz bei intensitätssteigernden Passagen zu beschreiben, als ob diese Art typisches Ritual zum ersten Mal stattgefunden hätte.

Aber noch eine Besonderheit zum Schluss: Durch jeweils stehende Ovationen des begeisterten Pubikums liess sich Jarrett zu nicht weniger als drei (!) Zugaben bewegen, darunter das auf keiner bisherigen CD zu findende "Easy Living" als einzigem Standard des Abends, aber mit "Solstice" und "Blossom" (von der berühmten ECM-LP/CD "Belonging" von 1974) auch zwei eigene Titel, die ebenfalls Standard-Charakter haben - und danach zum Abschluss nochmals Standing Ovations. Johannes Anders

 (*** soeben erschienen: "Irène Schweizer - First Choice – Piano Solo KKL Luzern", INTAKT CD 108 / 2006).





© JAZZ 'N' MORE – Nr. 5/2006
Fotos © KKL



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