Johannes Anders
Musik - Journalist

Lucerne Festival Sommer 2010 „Eros“

Dieter Ammann, phänomenaler “composer-in-residence”

Weltbekannte  Orchester, Dirigenten und Ensembles sind jeweils beim mehrwöchigen „Lucerne Festival im Sommer“ zu Gast und auch als “artiste étoile“ und “composer-in-residence“ eingeladene Musikpersönlichkeiten. Eine der weitherum herausragenden Besonderheiten ist einerseits die Lucerne Festival Academy unter Pierre Boulez und andererseits die zeitgenössische Musik, die u.a. im Rahmen der 9 Konzerte umfassenden Reihe „Moderne“ dank der engagierten Arbeit des Dramaturgen Mark Sattler ein einzigartes Forum erhielt. 

Eines der herausragenden Ereignisse war das erstmals ins Festival integrierte jährlich veranstaltete Uraufführungs- und Tonkünstlerfest des Schweizerischen Tonkünstlervereins, das unter dem sinnigen Titel “(z)eidgenössisCH“ am Wochenende des 11. und 12. September im neuen Kulturzentrum „Südpol“ und im KKL stattfand. Mit 24 Uraufführungen gelang es, Höreindrücke vom aktuellen Schaffen Schweizer Neuer Musik zu präsentieren. Der Südpol-Anlass „Moderne 6“ umfasste nicht weniger als sieben Veranstaltungen: Zum Beispiel eine wunderschön ausgehörte, zarte Duo-Improvisation mit Alfred Zimmerlin und Fritz Hauser, eine für mein Empfinden wenig ergiebige Kollektiv-Improvisation mit Charlotte Hug, Urs Leimgruber, Jacques Demierre, Jonas Kocher und Urban Mäder, und einen energetisch explosiven, mitreissenden Free-Jazz-Auftritt mit dem phänomenalen „composer-in-residence“ Dieter Ammann am Piano zusammen mit Christy Doran und den beiden sich gegenseitig gewaltig anheizenden Drummern Fredy Studer und Michael Wertmüller, ein Anlass, der mir persönlich Schauer über den Rücken jagte. Zum Schluss dieses Südpol-Tages spielte der phänomenal vielseitige, aber stets überzeugende Dieter Ammann mit seiner aus den achtziger Jahre wiederauferstandenen Band „Donkey Kong’s Multiscream“ eine spannend groovende „Synthese von punkiger Free Funk-Attitude mit experimenteller Improvisationsfreude". Zürcher Hörer hatten am Vorabend Gelegenheit, die Band bei einer Art (höchst gelungenen) Generalprobe im Zürcher Moods zu erleben. Dass Dieter Ammann auch als „composer-in-residence“ überzeugte – drei Kompostionen wurden im KKL höchstpersönlich von Maestro Pierre Boulez mit dem Lucerne Festival Academy Orchestra aufgeführt, gehört zu den weiteren Höhepunkten dieses Festivals.   

Protest der Basel Sinfonietta
Ebenfalls im Rahmen des “(z)eidgenössisCH“ spielte die Basel Sinfonietta unter Stefan Asbury im KKL neben Kompositionen von Martin Jaggi, Nadir Vassena und der beeindruckend orginell und faszinierend inszenierten, nur mit Schab- und Kratzgeräuschen erzeugten „Schraffur“ des Basler Schlagzeugers Fritz Hauser die über 40 Minuten dauernde Uraufführung von Michael Wertmüllers „Zeitkugel – Konzert für Klavier/Orgel und Orchester“ mit Dominik Blum. Das ist ein polarisierendes Machwerk, neben einigen interessanten Momenten mit unerträglich trivialen und banalen Passagen eine immer wieder ärgerliche Stilmix- und Ekklektizismusorgie, oft schwülstig, bombastisch, kitschig, pseudoromantisch, mit zuweilen brutalen Lautstärkegraden - für mich ein derartig zur Qual gewordenes Konzert, wie ich es nie zuvor erlebte. Es soll schon bei den Vorbereitungen des selbstverwalteten Orchesters Hörschäden und Tränen gegeben haben und die Basel Sinfonietta weigerte sich, eine Generalprobe zu spielen; sie lehnte zudem eine nachträgliche Aufführung in Basel ab. Ich persönlich hätte dieses Werk nicht nur wie die Basel Sinfonietta wegen angeblicher möglicher gesundheitlicher Lautstärkeschäden abgelehnt, sondern auch wegen des zu oft zweifelhaften musikalischen Gehalts. – Zu weiteren Besonderheiten zählte das Konzert „Moderne 5“  im KKL und dabei besonders das spannende „Le Cru et le Cuit für Klavier und Ensemble“ von und mit Stefan Wirth mit dem Collegium Novum Zürich unter Michael Wendeberg. Im weiteren interessant die Klanginstallationen von Alvin Lucier in der Kapelle zum heiligen Geist und Jaques Demierre’s „Chemin des Sons“ mit über 25 Improvisationsmusikern, verteilt  auf der Luzerner Kapellbrücke.

Kurzfassung dieses Berichts im JAZZ 'N' MORE – Nr. 6/2010
Fotos © Johannes Anders



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