Johannes Anders
Musik - Journalist

Luzerner Projektwoche zum Thema Musikkritik

Im Rahmen der Anfang Dezember 2001 von der Musikhochschule Luzern, Fakultät 3, veranstalteten Projektwoche zum Thema Musikkritik, u.a. mit den Kritikern, Autoren und Publizisten Peter Rüedi (Weltwoche), Ueli Bernays (NZZ), Peter Bitterli (SR DRS / WoZ), Christoph Merki (Zürich) und Peter Niklas Wilson (Hamburg) betreute Johannes Anders als Referent und Gesprächsleiter zusammen mit der Zürcher Saxophonistin Co Streiff und dem Basler Pianisten und Komponisten Hans Feigenwinter (siehe Foto rechts von Ben Huggler) den 2. Gesprächsabend, der dem Thema „Warum sich Musiker

MUSIKHOCHSCHULE LUZERN, FAKULTÄT III  JAZZ

           

Jazzkritik und Interessenkonflikte

In der Jazzkritik wird zunehmend propagiert, statt analysiert und kritisch hinterfragt. Zu diesem Schluss kam der deutsche Jazzpublizist Peter Niklas Wilson anlässlich der Studienwoche Musikkritik“ an der Jazz-Fakultät der Musikhochschule Luzern. Prominente Referenten brachten Anregungen, Studierende diskutierten rege. Eine inspirierende Woche zu einem unerschöpflichen Thema.

-pb. In seinem provokanten Thesen-Referat zum Stand der Jazzkritik im deutschsprachigen Raum konstatierte Wilson, dass sowohl in der Fachpresse wie in Tageszeitungen ernstzunehmende und kritische Beiträge über den Jazz immer mehr von Fanprosa“ und kaum verhüllten PR-Mitteilungen“ abgelöst würden. Musikalisch-fachlich wie sprachlich sei Dilettantismus verbreitet. Jazzkritiker sind vielfach noch für Plattenfirmen, Konzertagenturen und als Veranstalter tätig, was unweigerlich zu Interessenkonflikten und falschen Rücksichtnahmen führt.“

Schönes Hobby

Als ein Hauptgrund für die mangelnde Professionalität der Jazzkritik nannte Peter Niklas Wilson die dramatische Unterbezahlung“ der Beiträge, namentlich in Jazzmagazinen. Solche wirtschaftlichen Hintergründe machten die Auseinandersetzung mit Jazz zwangsläufig zu einem schönen Hobby“. Anders in den USA, wo Wilson einen professionellen Mindeststandard“ mit sprachlicher Qualität und guter Repertoire-Kenntnis der Kritiker beobachtet.

Wilson stellt fest, dass das redaktionelle Profil der Jazzzeitschriften vorzugsweise durch den Veröffentlichungskalender der grossen Plattenfirmen bestimmt wird. Erscheint zum Beispiel eine neue CD von Diane Krall, gibt es eine aufwendige Titelstory. Aber eine Debatte über die künstlerische Qualität wird kaum geliefert.“ Artikel über Künstler hingegen, die nicht bei grossen Labels unter Vertrag stehen würden, kämen praktisch nicht mehr vor. Die Fixierung auf die Plattenindustrie bringe auch die klassische Konzertkritik immer mehr zum Verschwinden.

Mozart und Madonna

Einen Hauptgrund für das gewandelte Verhältnis zum Jazz in den Feuilletons der Tageszeitungen sichtet Wilson im erweiterten Kulturbegriff“, der dort Einzug gehalten habe. Heute falle Jazz immer mehr zwischen Stuhl und Bank, zwischen Kunstmusikkritik und Popkritik, zwischen Bayreuth und Björk, zwischen Mozart und Madonna“.

Auch im Radio stellt Wilson eine tendenzielle Verflachung hin zum moderierten Plattenauflegen“ fest. Propagieren statt kritisieren lautet die Devise.“ Aufwendig recherchierte Features und gehaltvolle Sendereihen zum Jazz, die früher oft die Basis für Bücher waren, seien kaum mehr realisierbar.   

Spektakel

Die persönliche Relativierung von Peter Niklas Wilson, dass einige seiner Thesen auf grundsätzlichen strukturellen Problemen beruhen dürften, bestätigte der DRS 2-Literaturredaktor Hardy Ruoss einen Tag später in seinem Referat. In der Vermittlung der Literatur sei nicht mehr die analytisch-kritische Vermittlung eines Buches gefragt, sondern dessen marktgerechte Inszenierung. Ziel der Kulturindustrie ist nicht das Werturteil, sondern der effiziente Auftritt und die spektakuläre Vermarktung.“ Die anstrengende, zeitaufwendige und auf intellektueller Arbeit beruhende Literaturkritik/Musikkritik lohne sich angesichts der neuen Prämissen kaum mehr.

Die wichtigste Aufgabe des Kritikers ist für Hardy Ruoss das Vermitteln. Eine Kritik müsse transparent und nachvollziehbar sein. Kritiker liefern eine erste Leserat, eine erste Hörart. Sie schlagen eine Brücke.“ Angesichts der Schnelligkeit und der Wucht des Kulturbetriebes seien die Konsumenten zunehmend überfordert. Deswegen suchen sie das Heil bei den zehn Geboten: Du sollst das und das hören oder lesen.“ Doch mit der rein sensationsgeilen Auseinandersetzung würden die Leser/die Hörer entwürdigt. Die Tatsache, dass es im Spektrum zwischen Gelingen und Misslingen viel Nuancen gebe, gehe verloren.

Primärerlebnis

Ruoss fordert von der Kritik, dass sie sagt, was sie meint und auch vor negativen Urteilen nicht zurückschreckt. Das bedinge ein Existenzminimum an Anstand und Umgangsformen“. Die Kritik soll ihr Urteil deutlich sagen, aber auch bestimmt durch die Höflichkeit der Leidenschaft“; wie Ruoss eine Devise des Zürcher Publizisten Werner Weber zitierte. Auch vor pathologischer Eitelkeit“ warnte Ruoss. Je gockelhafter die Kritiker sind, desto weniger trauen sich die Leser und Hörer das eigene Urteil zu. Dabei hätten sie es durchaus in der Hand, sich selber einzulassen auf das Primärerlebnis.“ Ruoss forderte die Studierenden der Jazz-Fakultät auf, sich von der Kritik nicht beirren zu lassen. Das Primärerlebnis, wie ihr es liefert, ist immer noch das primäre.       

Genau übersetzen

Im Gespräch, das jazz’n’more-Redaktor Johannes Anders mit der Saxophonistin Co Streiff und dem Pianisten Hans Feigenwinter führte, erfuhr das Publikum von den Musikern, welche Ansprüche sie an eine Musikkritik stellen. Umgekehrt hörten die Musiker, wie die Auswahl von Beiträgen auf einer Redaktion funktioniert und wie die Jazzkritik je nach Dienstredaktor mehr oder weniger gewichtet wird. Anders: Für viele Kulturredaktoren ist Jazz noch immer eine Minderheitenmusik.“

Für Feigenwinter muss eine Kritik den Anspruch haben, die Musik sehr genau zu erfassen und diese in eine Sprache zu übersetzen, die der Leser verstehen kann. Zu oft werde – auch unter Musikern - in Geheimsprachen“ geredet, um sich in Szenen“ abzuschotten. Das müsse der Musikkritiker knacken.  

Co Streiff interessiert nicht in erster Linie, ob ein Konzert gut“ oder nicht gut“ war. Sie möchte lieber eine möglichst genaue Beschreibung der Musik, so dass ich hören kann, wie sie geklungen hat.“ Sowohl Streiff wie Feigenwinter glauben, dass das Niveau der Kritiken in der Schweizer Presselandschaft oft zu tief angesetzt und das Publikum unterschätzt werde. Oft hätten sie gerne anspruchsvollere Texte“.

Projektwoche Fakultät III: Konstruktives zur Kritik

Was ist eine gute Musikkritik? Wie subjektiv darf sie sein? Wie geht der Kritiker mit seiner Macht“ um? Welche Beurteilungskriterien wendet der Kritiker an? Die Projektwoche an der Fakultät III der Musikhochschule Luzern hat ausgiebig Gelegenheit geboten, sich mit solchen Fragen auseinander zu setzen. Eingeladen waren kompetente Referenten. Auch die Studierenden brachten mit ihren Einwürfen die Diskussionen ins Rollen.

Chemie und Interplay

Eröffnet wurde die Reihe Konstruktives zur Kritik“ in der Jazzkantine mit einem Podiumsgespräch zwischen Musikkritikern. Moderator Christoph Merki (Musiker, Journalist) unterhielt sich mit Weltwoche“-Jazz-Kolumnist Peter Rüedi, Peter Bitterli (Radio DRS 2, WoZ) und Ueli Bernays (Pop/Jazz-Redaktor NZZ). Doch die Statements blieben oft allgemein und wenig ergiebig. Tiefschürfende, überraschende oder kontroverse Standpunkte zum Selbstverständnis des Kritikers waren selten zu hören.

Spannender und praxisbezogener war am nächsten Abend die Debatte zwischen dem Pianisten Hans Feigenwinter, der Saxophonistin Co Streiff und dem Musikkritiker Johannes Anders (Jazz’n’More). An den folgenden Abenden demontierten der Jazzpublizist Peter Niklas Wilson und der DRS 2-Literaturedaktor Hardy Ruoss allfällige hehre Vorstellungen über die Seriösität der Musik-/Literaturkritik im Zeitalter der Unterhaltungs- und Kurzfutterkultur.

Mann und Mehldau

Einen so cleveren wie witzigen Abschluss der Projektwoche setzte der Jazzkritiker Tom Gsteiger. Gsteiger inszenierte einen imaginären Dialog zwischen dem Schriftsteller Thomas Mann und dem Jazzpianisten Brad Mehldau. Seine Darbietung war gleichzeitig ein Streifzug durch ein paar wichtige Stationen der Kultur- und Jazzgeschichte und führte von den Liedern Schuberts bis zur Minimal Music der Sechziger Jahre.

Der lockere Diskurs veranschaulichte, wie sich die Ansichten über den Stellenwert der Musik historisch gewandelt haben. Einst hatte sie die Aufgabe, dieNatur nachzuahmen oder das Leben zu verschönern. Seit der Romantik - und neu bekräftigt durch den Jazz-Verachter Adorno - wurde sie zunehmend als etwas Autonomes und Abstraktes begriffen. Gsteiger veranschaulichte die Ausführungen mit vielen Musikbeispielen und Zitaten aus dem Werk von Thomas Mann sowie Texten von Brad Mehldau.

 

Pirmin Bossart

 

 

 

Co Streiff, Johannes Anders, Hans Feigenwinter

(©) - MUSIKHOCHSCHULE LUZERN, FAKULTÄT III - 5/2002