Musikkritik im Abseits ?

Zwei unterschiedliche Blickwinkel

 

Im Rahmen der Winterthurer Reihe "Musica aperta" im Theater am Gleis widmeten sich die Musiker/Komponisten Max E. Keller, p, electr, und Alfred Zimmerlin, cello, electr., zusammen mit Stefan Wyler, tp, und Dani Schaffner, dr, unter dem Titel "improvisé – prémédité – electronisé" sechs Improvisationskonzepten von Keller. In der Winterthurer Tageszeitung Der Landbote konnte man darüber u.a. Folgendes zu lesen: "Waren die Kabel einmal geordnet und das Startsignal gegeben, kamen die Klänge ins Rutschen, Taumeln, Trudeln, Momente von Bedeutung oder gar Leidenschaft waren selten. Besonders aktiv gebärdete sich Alfred Zimmerlin. Er traktierte sein Cello mit allerhand Materialien, glissandierte und perkussionierte was das Zeug hielt. Stefan Wyler hatten es an diesem Abend vor allem die 'Speuzklänge' angetan, und Max E. Keller verfremdete die Klavierklänge durchaus virtuos bis zur Unkenntlichkeit. Dani Schaffner gelang am Schlagzeug ein kurzer Moment des Grooves, doch darüber hinaus bleib seine Hexenküche kalt". Weiter war zu lesen, dass man als Publikum "schon die spezielle Begabung zur Erzeugung einer intellektuellen Gänsehaut mitbringen" müsse, "sollen gut sechzig Minuten vorgeführte kollektive Klangsuche nicht die Sinnfrage allzu drängend werden lassen". Auch die Schlussbemerkung, dass nicht alle Hörer dieser Aufgabe gewachsen waren und die Pause zum Abgang nutzten, stimmt nicht ganz, wie der Mann an der Kasse bestätigte; es war lediglich ein Paar. Fazit: Eine "intellektuelle Gänsehaut" entsteht zwangsläufig, wenn man diesen Konzertbericht liest und drängend stellt sich danach "die Sinnfrage", warum die Redaktion eine Schreiberin mit einem Thema betraut, zu dem sie ganz offensichtlich kaum Zugang hat. 

Ganz anders der Bericht in der NZZ, wo über die klangliche Umsetzung der vier Musiker zu lesen stand: "Rückkopplungseffekte erinnerten an experimentelle Rockmusik, Tonverzögerungen spannen sich ansatzweise zu minimalistischen Patterns weiter, und Kellers elektronisch aufgerüstetem Flügel entstiegen verblüffende Klänge. Daneben hatte auch ein luftig swingendes Schlagzeug oder eine Walking-Bass-Linie auf dem Cello ihren Platz, sodass sich ein spannendes Wechselspiel zwischen Mensch und Maschine ergab, das zu immer neuen klanglichen Konstellationen führte". Hier also Sachlichkeit, kurz und bündig, dort über viele Zeilen ausgebreitete Voreingenommenheit.  

Johannes Anders

©  JAZZ 'N' MORE 3/2004