Kinderliebe oder Rücksichtslosigkeit ?

 

Seit langem ärgere ich mich darüber, dass Mütter, Väter, Eltern ihren Nachwuchs immer wieder in für Kleinkinder ungeeignete Veranstaltungen, insbesondere Konzerte, mitnehmen, wo es den Kleinen dann eher oder später langweilig wird und sie  beginnen, mit allerhand Lautäusserungen das Geschehen entweder zu „kommentieren“ oder mehr oder weniger laute Unmutsäusserungen von sich zu geben, um damit kund zu tun, dass sie hier am falschen Ort sind. Dass damit ein ganzer Saal und damit das Publikum gestört oder im schlimmsten Fall und bei uneinsichtigen Begleitpersonen sogar akustisch terrorisiert wird, wollen diese „modernen“ Mütter, Väter, Eltern nicht wahrhaben, auch nicht, dass Sie eine öffentliche Veranstaltung als eine Art individuellen Kindergarten oder „praktischen“ Babysitter missbrauchen. Eigentlich ist das Publikum ja gekommen (und hat dafür bezahlt), das dargebotene Programm ungestört zu erleben oder zu geniessen. Aber keiner der Besucher reklamiert oder reagiert mit vorwurfsvollen Blicken; sie lassen sich lieber stören, um nicht als kinderfeindlich dazustehen.

 

Eine besondere, ja unglaubliche Rücksichtslosigkeit fand neulich beim Solokonzert des Pianisten Maurizio Pollini in der Zürcher Tonhalle statt. Immerhin schien die Mutter ziemlich schnell reagiert zu haben, in dem sie mitsamt Kleinkind den Saal verliess. Sie hätte jedoch, so hart das klingen mag, garnicht erst eingelassen werden dürfen. Übrigens: Dass junge Erwachsene mit Kleinkindern oder gar Babys auf dem Arm auch in phonstarken Anlässen mit Rocklautstärken anzutreffen sind, stört akustisch hingegen kaum und sowieso nicht diejenigen Saalnachbarn, die pädagogisch uninteressiert oder naiv sind, oder denen es gleichgültig ist, das Lautstärken, die bereits für viele Erwachsene unerträglich sind, mit Sicherheit negative Auswirkungen auf die Ohren und vor allem auf die Seele der kleinen Erdenbürger haben - eine Rücksichtslosigkeit, hier also für einmal nicht nur gegenüber anderen Besuchern, sondern gegenüber den eigenen, mitgenommenen, wehrlosen Kindern.  

Johannes Anders

© JAZZ 'N' MORE  1/2004 (von der Redaktion gekürzte Version auch im Tages-Anzeiger)