Johannes Anders
Musik - Journalist

55. Internatonales Filmfestival Locarno

Zwei starke Dok-Filme aus der Schweiz

 

Locarno ist neben Berlin und Cannes neu in die höchste Liga europäischer Filmfestivals aufgestiegen. Das freut nicht nur Festivalpräsident Marco Solari und die seit 2001 amtierende Direktorin Irene Bignardi, sondern vor allem auch die Schweizer FilmemacherInnen, die ihre Filme an diesem Anlass zeigen können.

Forget Baghdad

Zwei dieser CH-Filme, so herausragend wie unterschiedlich, in denen Musik eine dramaturgisch wichtige Rolle spielt, seien hier kurz vorgestellt. „Forget Baghdad. Jews and Arabs – The Iraqi Connection“, vom 1955 in Baghdad als Sohn eines Irakers und einer Schweizerin geborenen und 1961 mit der Familie in die Schweiz emigrierten Zürcher Filmemacher Samir, Mitinhaber der erfolgreichen wie unkonventionellen Zürcher Filmproduktion und Talentschmiede Dschoint Ventschr, erzählt von der Geschichte und den Biografien kommunistischer irakischer Juden und Intellektueller, die nach Progromen in den 50-er Jahren nach Israel auswanderten, hier aber auf Grund ihrer arabischen Wurzeln nie richtig integriert wurden. Es sind hochinteressante, intelligente, auch unterhaltende Reflexionen, in denen auch die Klischees „des Juden“ und „des Arabers“ in den letzten hundert Jahren Film ein Thema sind, realisiert in der für Samirs Filmgestaltung typischen „screen in screen“-Technik. Wirkungsvoll eingebaut ist die Musik des ebenfalls (nach Deutschland) emigrierten libanesischen Oud-Spielers und Komponisten Rabih Abou-Khalil. Der Film wurde in Locarno übrigens mit dem Jury-Preis der „Semaine de la Critique“ ausgezeichnet und wird Mitte November in der Schweiz gestartet.

Poetisch-musikalische Hirtenballade

Ganz anders der Film des Innerschweizers Erich Langjahr „Hirtenreise ins dritte Jahrtausend“, nach „Sennen-Ballade“ und „Bauerkrieg“ der dritte Film einer Trilogie, in der sich der Filmemacher mit „den elementaren Fragen des Menschen und seiner Existenz“ auseinandersetzt. Auch hier geht es also, ähnlich wie bei Samir, um Fragen nach Identität, Überleben und Zukunft, hier aber im Hinblick auf die aussterbenden uralten Kulturformen schweizerischen Hirtentums. Faszinierend und beeindruckend der Mut Langjahrs zu (unmodernen) langen, lyrischen Einstellungen, Filmszenen und Kamerafahrten, aber auch zur poetischen, ungeschminkten Darstellung Schweizer Berge und Landschaften. Und ganz wunderbar ist, mit wieviel Feeling und Musikalität Langjahr Musik von CDs verschiedener Ensembles des grossartigen Innerschweizer Alphorn- und Büchel-Spielers, (Jazz-)Trompeters und Komponistem Hans Kennel in diese zweistündige, ausdrucksstarke wie meditative Hirtenballade hineinkomponiert hat. Ein Meisterwerk. Der Film wird ab 17. Oktober in Zürich, Bern, Basel, Luzern und St. Gallen anlaufen. ja  


© JAZZ 'N' MORE Nr. 5/2002
© Fotos: Dschoint Ventschr



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