Johannes Anders
Musik - Journalist

59. Internat. Filmfestival Locarno:

2 Docfilm-Highlights aus der Schweiz

Die Rede ist einerseits von Peter Liechtis spannendem Musikfilm "Hardcore Chambermusic", der tief in das Enstehen der frei improvisierten Live-Musik des Trios Koch – Schütz – Studer eintaucht, und andererseits vom poetischen Film "Das Erbe der Bergler", in dem sich Erich Langjahr der schwierigen, immer seltener werdenden Arbeit der Muotathaler "Wildheuer" in den steilen Hochgebirgshängen des Muotatals widmet. Wie Peter Liechti geht es auch Erich Langjahr darum, geduldig und fern aller verfremdenden Romantizismen Realität nicht nur so echt wie möglich abzubilden sondern auch erfahrbar und damit verständlich zu machen. In ruhigen Kamerafahrten, langen Schnitten und zur umfassenderen Orientierung immer wieder mit eingebauten Totalen geht er fast meditativ an sein Thema heran. Und weil er möglichst alles selbst macht, also keine Rücksicht auf die Einsatzmöglichkeiten einer Filmequipe zu nehmen braucht, kann er stets sehr flexibel auf wechselnde Aufnahmebedingungen, Blickwinkel und herausfordernde Umstände reagieren. Um die Poesie der Bildsprache nicht zu stören, verzichtet er auf verbale Infos und lässt die Aufnahmen für sich sprechen. Und auch die wunderbar mit den Bildern harmonierenden Musiken von Hans Kennel – von den TCB-CDs "Rosa Loui" mit Hans Kennels "Alpine Experience", sowie "Mytha Horns Three - An Alphorn Polyphony and Songbook" – setzt er äusserst sparsam und deshalb umso wirkungsvoller ein. Die im Rahmen der "Semaine de la critique" im Kursaal angesetzte Projektion dieses 97 Minuten langen Epos stiess auf soviel Interesse, dass das Kino die Zuschauer kaum fassen konnte.

Free Music erfahr- und nachvollziehbar darstellen

In diesem Rahmen und mit ähnlichem  Publikumsandrang päsentierte auch Peter Liechti seinen 72-minutigen Docfilm "Hardcore Chambermusic. Frei improvisierte, spontan entstehende Musik ist bekanntlich nicht jedermanns Sache und auch manche Jazzinteressenten haben da Rezeptionsprobleme oder setzen sich derartig herausfordernden Hörabenteuern gar nicht erst aus. Dem engagierten St.Galler Filmemacher gelingt in einzigartiger Weise das Kunststück, die kollektiven Improvisations- und Artikulationsprozesse des impulsiv wie intuitiv agierenden Trios Koch - Schütz - Studer nicht nur transparent zu machen, sondern so darzustellen, dass man unweigerlich hineingezogen wird und diese Musik plötzlich mit anderen, neuen Ohren und Sinnen wahrnimmt. Eingestreute Gesprächsausschnitte mit spontanen, ungefilterten Äusserungen und Kommentaren der Spieler über die Musik, das gegenseitige Agieren, Reagieren oder Probleme bei der musikalischen Kommunikation tun das Übrige, um als Zuschauer und Zuhörer voll und ganz in diese spannenden Musikwelten einsteigen zu können. Anlass für diese Aufnahmen war die im letzten September stattgefundene, 30-tägige Performance des Trios in einer alten, extra für diesen Anlass hergerichteten Schlosserei in Zürich West, in der Liechti während 12 Tagen Aufnahmen machte. So dicht, eindringlich und unmittelbar erfahr- und nachvollziehbar wurde kaum je zuvor neue Musik filmisch dem Publikum nahegebracht. Ein Ereignis!. Johannes Anders 

Schweizer Kinostart von "Das Erbe der Bergler" ist Mitte Oktober 2006,von "Hardcore Chambermusic" Ende November, Anfang Dezember 2006




© JAZZ 'N'  MORE, Nr. 5, Sept./Okt. 2006 

"Hardcore Chambermusic": HDV-35mm FAZ / DigiBeta-Master, 1:1.85 (16:9) color72 Min. Dolby SR-D (5.1). Original version: swiss german / subtitles english, german, French. Verleih Look Now! , Zürich, Bea Cuttat. www.looknow.ch
Fotos: © Look Now! 

"Das Erbe der Bergler" / "Alpin Saga" (internat. Titel): 35mm, 97 Min. Farbe. Format 1:1.66, Dolby SR. Orginalversion Schweizerdeutsch, Untertitel Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch. Produktion und Verleih Langjahr Film GmbH. www.langjahr-film.ch
Fotos: © Langjahr-Film


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