Johannes Anders
Musik - Journalist

Johannes' Berichte, Texte


90. Donaueschinger Musiktage 14. - 16. Oktober 2011:
Starke Höreindrücke

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Dieses einzigartige, vom Südwestrundfunk SWR alljährlich veranstaltete Uraufführungsfestival Neuer Musik, das dieses Jahr zum 90. mal stattfand, war wie jedes Jahr von starken und beeindruckenden Musikereignissen geprägt. Alle Konzerte waren auch diesmal ausverkauft. Dass dieses Jahr besonders viele Komponistinnen und Interpretinnen zur Geltung kamen, basiert angeblich nicht auf einem Programmkonzept. Nur bei der “SWR2 NOWjazz Session“ wurde unter dem Motto “Femous improvisers“ ganz gezielt auf die Frauenkarte gesetzt.
Von Johannes Anders

RihmZwei Orchester sorgten auch diesmal für Höhepunkte: Einerseits das in Köln beheimatete Ensemble musikfabrik und andererseits das Hausorchester des Südwestrundfunks und der Musiktage, das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg. Beide zählen zu den führenden Klangkörpern zeitgenössischer Musik. Unter der Leitung von Emilio Pomàrico führten beim Eröffnungskonzert beide Orchester zusammen neben „Phonogliphi“ von Pierluigi Billone die „Séraphin“-Symphonie von Wolfgang Rihm auf, ein knapp einstündiges Werk, das zu einem ersten grossen Musikerlebnis wurde, ein hochdifferenziertes Klangereignis mit engen Geflechten zwischen kurzen Steigerungen mit dynamischen Klangeruptionen, liegenden Klangflächen, Tempowechseln, harten Gongschlägen - brodelnde Klangmassen wechselnder Intensität, in denen Klavier und Perkussion immer wieder Akzente setzten. Überhaupt bemerkenswert, wie gewichtig bei vielen Werken dieser Musiktage Perkussives zum Einsatz kam. Einen weiteren orchestralen Schwerpunkt bildete im Abschlusskonzert der Musiktage, das traditonsgemäss vom SWR Sinfonierorchester bestritten wurde, die Komposition “zirckel / richtscheyt / felscher“ von Andreas Dohmen nach Albrecht Dürers “Underweysung der messung“. Diese prozesshaft Mittererangelegte, dynamisierte Musik beinhaltet ein vielflächiges, wellenartiges, expressives Wechselspiel zwischen kompakten Klangblöcken, abrupten Einsätzen von Crescendi und Decrescendi und dem spannungssteigerndem Einsatz vielfältiger Perkussion, souverän geleitet vom neuen Chefdirigenten des SWR Sinfonieorchesters François-Xavier Roth. Sein sachkundiger, energisch-präziser, auf überflüssiges Gestikulieren verzichtender Dirigierstil schien auf grosse Empathie des Orchesters zu stossen, das unter seiner Leitung die Schwierigkeiten der Partitur scheinbar mühelos bewältigte und den alljährlich vom Orchester verliehenen Kompositionspreis 2011 zu Recht diesem Werk verlieh.
Aber noch von zwei anderen unter den 20 Uraufführungen ist zu berichten: Von “Little Smile“ für Ensemble und Live-Elektronik vom Komponisten / Improvisator Wolfgang Mitterer mit der musikfabrik, dem Experimentalstudio des SWR und dem Komponisten am laptop. Das Ganze unter der Leitung des spezell mit Fingern und Hand agierenden Dirigenten / Komponisten Enno PoppePoppe, wo auf faszinierende und höchst ereignisreiche, spannende Weise fixierte und improvisatorische Vitalitätsfelder zu einem rhythmisch energiegeladenen, mitreissenden Konglomerat zusammenwuchsen, grundiert von einem hintergründig brodelnden, mit imaginär swingenden Rhythmuselementen angereicherten Klangband. - Wunderbar auch die dreimal aufgeführte Raumklangkomposition “Stasis“ von Rebecca Saunders im akustisch hervorragenden Strawinsky Saal mit auf 16 Positionen im Raum verteilten und dazwischen wechselnden Musikern. Mit dem Spiel der verschiedenen Musikerkonstellationen, aber auch den rhythmisch dichten Passagen wirkte das oft wie ein improvisierendes, gut aufeinander eingespieltes und reagierendes Freemusic-Ensemble. – Zu erwähnen wären noch die “Studien zu Figuren / Serie A“ für 7 verstärkte Stimmen und Sampler von Iris ter Schiphorst mit den grandiosen “Neue Vokalsolisten Stuttgart“ mit einem faszinierend intensiven, quasi polyphonen Mosaik von Stimmen, Lauten, Schreien, Rufen, Geräuschen und Zuspielband.     

Zeena“Femous Improvisers“
Die traditionelle “SWR2 NOWJazz Session“, diesmal erfreulicherweise in normaler Lautstärke (!), war speziell improvisierenden Frauenensembes gewidmet, ganz gemäss dem auch die SWR2-Jazzsendungen der letzen Zeit prägenden Motto „Femous improvisers“ (aus “female“ und „famous“). Erstaunlich und überraschend dabei, dass das seit rund 30 Jahren existierende, internatonale Trio “Les diaboliques“ mit Irène Schweizer, piano, Maggie Nicols, vocal performance, und Joëlle Léandre, bass & performance, beeindrucken konnte wie eh und je, mit viel Spielwitz, einer sich gewohnt exaltiert präsentierenden Nicols und einer eher zurückhaltenden, das Geschehen wie beobachtenden Irène S. Die zwei anderen Ensembles, die mit hervorragendem kollektiven Agieren zwischen Improvisation und fixierten Sequenzen zu überzeugen wussten, war das Duo „Phantom Orchard“ mit Ikue Mori, electronics und Zeena Parkins, harp, electric harp, celesta und electronics, sowie die norwegische Gruppe “Spunk“ mit Kristin Andersen, trumpet + recorder, Lene Grenager, cello, Maja Solveig Kjelstrup Ratkje, voice + electronics, und Hild Sofie Tafford, french horn + electronics. Als ereignisreiches Schlussbouquet vereinigten sich dann beide Ensembles zum “Phantom Orchard Orchestra II“.

Sorgenfalten
In seinem traditionellen Einleitungsreferat am Beginn der Musiktage zur Verleihung des Karl-Sczuka-Preises 2011 für Hörspiel als Radiokunst wies SWR-Hörfunkdirektor Bernhard Hermann sorgenvoll darauf hin, dass der SWR vieles reduzieren muss, auch sein kulturelles  Engagement. Das bedeute, so Hermann, “dass wir über alle Programme und Einrichtungen des SWR hinweg ca. 15 Prozent einsparen müssen“. Grund dafür seien die zurückgehenden Gebühreneinnahmen und die realen Kostensteigerungen, die durch die Gebühr schon seit Jahren nicht mehr aufgefangen werden. “Wir werden - so die Prognose - im Jahr 2020 rund 220 Millionen weniger zur Verfügung haben.“  Auch wenn Hermann das nicht speziell ansprach ist klar, dass wenn überall gespart werden muss, auch die Donaueschinger Musiktage unter den mehr als 500 Kulturveranstaltungen im Sendegebiet den unvermeidlichen Sparzwang zu spüren bekommen. Sie sind aber immerhin, und das ist natürlich sehr tröstlich, generell in ihrer Existenz nicht bedroht!, wie deutlich wurde. “Ich bin deshalb ziemlich stolz darauf“, so Hermann weiter, “dass meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - Quote hin, Quote her - den Mut haben“ (und die immensen Herausforderungen nicht scheuen - J.A.) “seit einigen Jahren alle Konzerte aus Donaueschingen“ (diesmal mit einer Ausnahme in Form einer zeitversetzten Sendung - J.A.) “ live im Radio zu übertragen“ (und zwar in bester 5.1 Soundqualität - J.A.) “ein Mut, den Jahr für Jahr immer mehr Hörerinnen und Hörer auch honorieren“.

Phantom Orchard Orchestra II: Foto Johannes Anders
Wolfgang Rihm: Foto Hans Kumpf
Wolfgang Mitterer: Foto Hans Kumpf
Enno Poppe: Foto Hans Kumpf
Zeena Parkins: Foto Johannes Anders

 

 

 

 

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