Johannes Anders
Musik - Journalist

Internationalen Musikfestwochen Luzern 2000

 

“Goldberg-Variations“ als buntscheckiges Kaleidoskop

Uri Caine's zwiespältige Bach-Bezüge

 

Von Johannes Anders

 Vor allem all diejenigen, die die ideensprühenden Adaptionen, Bezüge, Verwandlungen und Abstraktionen Bachscher Musik auf der gelungenen, neuen 2CD-Box “The Goldberg Variations“  (Winter&Winter) schon kannten, waren gespannt, wie dieses vielversprechende aber auch klippenreiche Unterfangen “live“ funktionieren würde. Der amerikanische Pianist, Komponist, Konzeptualist und Jazzmusiker Uri Caine ist ja bekannt für seine orginellen, intelligenten, zuweilen auch mit einem Augenzwinkern “inszenierten“ Bearbeitungen und Verfremdungen klassischer Werke, etwa von Schumann, Wagner und Mahler (siehe auch BaZ-Interview vom letzten Samstag). Und dass die „Goldberg Variationen“ mit ihrer Variationsvielfalt einen Musiker wie Caine besonders inspirieren, ja geradezu provozieren, hier seinen Form-, Struktur-, aber auch kreativen Demontage-Phantasien freien Lauf zu lassen, wird auf der CD-Box auch dadurch deutlich, dass ihm die von Bach vorgegebenen 30 Variationen nicht genügten und er den „Spielraum“ auf 70 ausdehnte. Was hier jedoch zielgerichtet, stringent, wie mit langem Atem realisiert wurde und überzeugt, mit Interpreten, Solisten und Ensembles in den verschiedensten Konstellationen, die alle hervorragend und in offensichtlich bester Form agierten, das wirkte bei den hier „nur“ rund 40 Variationen des Luzerner Konzerts bereits zu lang, ja gelegentlich wie eine zufällige Aneinanderreihung von zuweilen fast simplen und belanglosen, eigentlich überflüssigen Stücken. Dazu kamen gelegentliche Intonationstrübungen beim Zusammenspiel des Gamben-Quartetts, stellenweise regelrecht falsch klingende Improvisationspassagen des Trompeters Ralph Alessi wie erstaunlicherweise des ansonsten brillanten Pianisten und Leaders selbst, einem zu laut und manchmal recht holzhackerisch spielenden Ralph Peterson am Schlagzeug und mit dem Kettwiger Bach Ensemble ein Chor, der mit seinen zeitweisen Swingle-Singers-Anklängen zunehmend langweilte. Auch das Zusammenspiel der verschiedenen Kombinationen klappte nicht immer problemlos.

 Lichtblicke

Eigentlich erstaunlich die immer wieder zutage tretenden Diskrepanzen zur CD-Einspielung, mit der Caine Massstäbe setzte, an denen er natürlich bei jeder Aufführung gemessen werden wird. Anscheinend konnte bei der Vorbereitung für diese Tournee nicht so intensiv wie nötig geprobt werden. Dem Luzerner Anlass gingen jedoch immerhin schon etwa fünf Konzerte voraus. Weitere erschwerende Faktoren sind sicher die bei einem derartig umfangreichen und heterogenen Klangkörper fast unvermeidlichen Besetzungswechsel und die nicht zu bremsende Aktivität Caine’s, immer wieder etwas umzuschreiben, zu verändern, neu zu strukturieren, was auch für die bereits bei der CD-Einspielung Beteiligten wie die Sologeigerin Annegret Siedel, den Trompeter und Drummer, sowie den Chor und das Quartetto Italiano di Viole da Gamba eine Herausforderung bedeutete. Kaum anzumerken waren diese wechselnden Live-Bedingungen der Blues- und Gospel-Sängerin Barbara Walker, dem virtuos-witzigen Sprechgesang- , Geräusch- und Vocal-Entertainer David Moss, dem tadellosen Bassspieler Drew Gress sowie dem sehr zurückhaltend aber elektronisch höchst effizient mitmischenden DJ Olive; auch sie waren schon bei der CD dabei. Für einige Lichtblicke in diesem zuweilen mühsamen Hürdenlauf des Gehörs sorgten aber neben Klezmer-, Ragtime-, Gospel-, Raggae-, Latin-, Tango- sowie Rhythm-and-Blues-Adaptionen vor allem die Hardbop-artigen Jazzteile in der klassischen Quintett-Besetzung Trompete, Sax, Piano, Bass und Drums, auch wenn sie wohl am meisten von Bach-Bezügen entfernt waren. Dass beim Schlussapplaus eine Zugabe nicht vehement erklatscht wurde, zeigte, dass sich auch bei denjenigen, die die CD-Edition noch nicht kannten, und das dürfte die grosse Mehrheit gewesen sein, die Begeisterung in Grenzen hielt.

     


 

© Basler Zeitung 8/2000



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